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Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Welt -- dort ist das tiefe Wasser -- dort scheidet uns Niemand mehr, und wir sind zusammen gewesen -- ob kurz oder lang, das kann uns dann gleich sein.-- Vrenchen sagte sogleich: Sali -- was du da sagst, habe ich schon lang bei mir gedacht und ausgemacht, nämlich daß wir sterben könnten und dann Alles vorbei wäre -- so schwör mir es, daß du es mit mir thun willst!

Es ist schon so gut wie gethan, es nimmt dich Niemand mehr aus meiner Hand, als der Tod! rief Sali außer sich. Vrenchen aber athmete hoch auf, Thränen der Freude entströmten seinen Augen; es raffte sich auf und sprang leicht wie ein Vogel über das Feld gegen den Fluß hinunter. Sali eilte ihm nach; denn er glaubte, es wolle ihm entfliehen, und Vrenchen glaubte, er wolle es zurückhalten, so sprangen sie einander nach, und Vrenchen lachte wie ein Kind, welches sich nicht will fangen lassen. Reut es dich schon? rief Eines zum Andern, als sie am Flusse angekommen waren und sich ergriffen; nein! es freut mich immer mehr! erwiderte ein Jedes. Aller Sorgen ledig gingen sie am Ufer hinunter und überholten die eilenden Wasser, so hastig suchten sie eine Stätte, um sich niederzulassen: denn ihre Leidenschaft sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Werth und Inhalt des übrigen Lebens drängte sich in diesem zusammen; was danach kam, Tod und Untergang, war ihnen ein

Welt — dort ist das tiefe Wasser — dort scheidet uns Niemand mehr, und wir sind zusammen gewesen — ob kurz oder lang, das kann uns dann gleich sein.— Vrenchen sagte sogleich: Sali — was du da sagst, habe ich schon lang bei mir gedacht und ausgemacht, nämlich daß wir sterben könnten und dann Alles vorbei wäre — so schwör mir es, daß du es mit mir thun willst!

Es ist schon so gut wie gethan, es nimmt dich Niemand mehr aus meiner Hand, als der Tod! rief Sali außer sich. Vrenchen aber athmete hoch auf, Thränen der Freude entströmten seinen Augen; es raffte sich auf und sprang leicht wie ein Vogel über das Feld gegen den Fluß hinunter. Sali eilte ihm nach; denn er glaubte, es wolle ihm entfliehen, und Vrenchen glaubte, er wolle es zurückhalten, so sprangen sie einander nach, und Vrenchen lachte wie ein Kind, welches sich nicht will fangen lassen. Reut es dich schon? rief Eines zum Andern, als sie am Flusse angekommen waren und sich ergriffen; nein! es freut mich immer mehr! erwiderte ein Jedes. Aller Sorgen ledig gingen sie am Ufer hinunter und überholten die eilenden Wasser, so hastig suchten sie eine Stätte, um sich niederzulassen: denn ihre Leidenschaft sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Werth und Inhalt des übrigen Lebens drängte sich in diesem zusammen; was danach kam, Tod und Untergang, war ihnen ein

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/117>, abgerufen am 24.04.2024.