Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Bann, daß sie nicht wagten den schmalen Pfad zu verlassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkürlich folgten, bis an des Ende des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige Ackerzipfelchen bedeckte. Ein zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen hatte sich darauf angesiedelt, weßhalb der kleine Berg feuerroth aussah zur Zeit. Plötzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die roth bekleidete Steinmasse hinauf, kehrte sich und sah ringsum. Das Pärchen blieb stehen und sah verlegen zu dem dunklen Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, weil der Weg in das Dorf führte, und umkehren mochten sie auch nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an und rief: Ich kenne euch, ihr seid die Kinder Derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiß noch erleben, daß ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, ihr zwei Spatzen! Gefällt euch meine Nase, wie?--In der That besaß er eine schreckbare Nase, welche wie ein großes Winkelmaß aus dem dürren schwarzen Gesicht ragte, oder eigentlich mehr einem tüchtigen Knebel oder Prügel glich, welcher in dies Gesicht geworfen worden war, und unter dem ein kleines rundes Löchelchen von einem Mund sich seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er unaufhörlich pustete, pfiff und zischte. Dazu stand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht

Bann, daß sie nicht wagten den schmalen Pfad zu verlassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkürlich folgten, bis an des Ende des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige Ackerzipfelchen bedeckte. Ein zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen hatte sich darauf angesiedelt, weßhalb der kleine Berg feuerroth aussah zur Zeit. Plötzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die roth bekleidete Steinmasse hinauf, kehrte sich und sah ringsum. Das Pärchen blieb stehen und sah verlegen zu dem dunklen Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, weil der Weg in das Dorf führte, und umkehren mochten sie auch nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an und rief: Ich kenne euch, ihr seid die Kinder Derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiß noch erleben, daß ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, ihr zwei Spatzen! Gefällt euch meine Nase, wie?—In der That besaß er eine schreckbare Nase, welche wie ein großes Winkelmaß aus dem dürren schwarzen Gesicht ragte, oder eigentlich mehr einem tüchtigen Knebel oder Prügel glich, welcher in dies Gesicht geworfen worden war, und unter dem ein kleines rundes Löchelchen von einem Mund sich seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er unaufhörlich pustete, pfiff und zischte. Dazu stand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0059"/>
Bann, daß sie nicht wagten den schmalen                Pfad zu verlassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkürlich folgten, bis an des                Ende des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige                Ackerzipfelchen bedeckte. Ein zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen hatte                sich darauf angesiedelt, weßhalb der kleine Berg feuerroth aussah zur Zeit. Plötzlich                sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die roth bekleidete Steinmasse hinauf,                kehrte sich und sah ringsum. Das Pärchen blieb stehen und sah verlegen zu dem dunklen                Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, weil der Weg in das Dorf                führte, und umkehren mochten sie auch nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an                und rief: Ich kenne euch, ihr seid die Kinder Derer, die mir den Boden hier gestohlen                haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiß noch                erleben, daß ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, ihr zwei                Spatzen! Gefällt euch meine Nase, wie?&#x2014;In der That besaß er eine schreckbare Nase,                welche wie ein großes Winkelmaß aus dem dürren schwarzen Gesicht ragte, oder                eigentlich mehr einem tüchtigen Knebel oder Prügel glich, welcher in dies Gesicht                geworfen worden war, und unter dem ein kleines rundes Löchelchen von einem Mund sich                seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er unaufhörlich pustete, pfiff und zischte.                Dazu stand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] Bann, daß sie nicht wagten den schmalen Pfad zu verlassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkürlich folgten, bis an des Ende des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige Ackerzipfelchen bedeckte. Ein zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen hatte sich darauf angesiedelt, weßhalb der kleine Berg feuerroth aussah zur Zeit. Plötzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die roth bekleidete Steinmasse hinauf, kehrte sich und sah ringsum. Das Pärchen blieb stehen und sah verlegen zu dem dunklen Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, weil der Weg in das Dorf führte, und umkehren mochten sie auch nicht vor seinen Augen. Er sah sie scharf an und rief: Ich kenne euch, ihr seid die Kinder Derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiß noch erleben, daß ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, ihr zwei Spatzen! Gefällt euch meine Nase, wie?—In der That besaß er eine schreckbare Nase, welche wie ein großes Winkelmaß aus dem dürren schwarzen Gesicht ragte, oder eigentlich mehr einem tüchtigen Knebel oder Prügel glich, welcher in dies Gesicht geworfen worden war, und unter dem ein kleines rundes Löchelchen von einem Mund sich seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem er unaufhörlich pustete, pfiff und zischte. Dazu stand das kleine Filzhütchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/59
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/59>, abgerufen am 24.04.2024.