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Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen! --Gut, gut! komm lieber um halb eilf schon! -- Doch als Sali schon im Gehen war, rief sie ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich verändertes, verzweiflungsvolles Gesicht. Es wird doch Nichts daraus, sagte sie bitterlich weinend, ich habe keine Sonntagsschuhe mehr! Schon gestern habe ich diese groben hier anziehen müssen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß keine Schuhe aufzubringen! -- Sali stand rathlos und verblüfft. Keine Schuhe, sagte er, da mußt du halt in diesen kommen! -- Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen! -- Nun, so müssen wir welche kaufen.-- Wo, mit was? -- Ei, in Seldwyl da giebt es Schuhläden genug! Geld werde ich in minder als zwei Stunden haben. -- Aber ich kann doch nicht mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch noch Schuhe zu kaufen! -- Es muß! und ich will die Schuhe kaufen und morgen mitbringen! -- O du Närrchen, sie werden ja nicht passen, die du kaufst! -- So gieb mir einen alten Schuh mit, oder halt, noch besser, ich will dir das Maß nehmen, das wird doch kein Hexenwerk sein! -- Das Maß nehmen? Wahrhaftig, daran hab' ich nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnürchen suchen! -- Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurück und streifte den Schuh vom Fuße, der noch von der gestrigen Reise her mit einem weißen Strumpfe bekleidet war. Sali kniete nieder und nahm,

wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen! —Gut, gut! komm lieber um halb eilf schon! — Doch als Sali schon im Gehen war, rief sie ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich verändertes, verzweiflungsvolles Gesicht. Es wird doch Nichts daraus, sagte sie bitterlich weinend, ich habe keine Sonntagsschuhe mehr! Schon gestern habe ich diese groben hier anziehen müssen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß keine Schuhe aufzubringen! — Sali stand rathlos und verblüfft. Keine Schuhe, sagte er, da mußt du halt in diesen kommen! — Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen! — Nun, so müssen wir welche kaufen.— Wo, mit was? — Ei, in Seldwyl da giebt es Schuhläden genug! Geld werde ich in minder als zwei Stunden haben. — Aber ich kann doch nicht mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch noch Schuhe zu kaufen! — Es muß! und ich will die Schuhe kaufen und morgen mitbringen! — O du Närrchen, sie werden ja nicht passen, die du kaufst! — So gieb mir einen alten Schuh mit, oder halt, noch besser, ich will dir das Maß nehmen, das wird doch kein Hexenwerk sein! — Das Maß nehmen? Wahrhaftig, daran hab' ich nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnürchen suchen! — Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurück und streifte den Schuh vom Fuße, der noch von der gestrigen Reise her mit einem weißen Strumpfe bekleidet war. Sali kniete nieder und nahm,

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[0077] wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen! —Gut, gut! komm lieber um halb eilf schon! — Doch als Sali schon im Gehen war, rief sie ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich verändertes, verzweiflungsvolles Gesicht. Es wird doch Nichts daraus, sagte sie bitterlich weinend, ich habe keine Sonntagsschuhe mehr! Schon gestern habe ich diese groben hier anziehen müssen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß keine Schuhe aufzubringen! — Sali stand rathlos und verblüfft. Keine Schuhe, sagte er, da mußt du halt in diesen kommen! — Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen! — Nun, so müssen wir welche kaufen.— Wo, mit was? — Ei, in Seldwyl da giebt es Schuhläden genug! Geld werde ich in minder als zwei Stunden haben. — Aber ich kann doch nicht mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch noch Schuhe zu kaufen! — Es muß! und ich will die Schuhe kaufen und morgen mitbringen! — O du Närrchen, sie werden ja nicht passen, die du kaufst! — So gieb mir einen alten Schuh mit, oder halt, noch besser, ich will dir das Maß nehmen, das wird doch kein Hexenwerk sein! — Das Maß nehmen? Wahrhaftig, daran hab' ich nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnürchen suchen! — Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurück und streifte den Schuh vom Fuße, der noch von der gestrigen Reise her mit einem weißen Strumpfe bekleidet war. Sali kniete nieder und nahm,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/77>, abgerufen am 29.03.2024.