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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Fenster der Stube glänzte. Er sah bei dieser
Gelegenheit den grauen Kopf einer Matrone
nebst einer kupfernen Kaffeekanne sich dunkel auf
die Silberfläche einer zehn Meilen fernen Gletscher¬
firne zeichnen und erinnerte sich, daß er dieses
Bild unverändert gesehen, seit er sich denken mochte.

So spielte dieser Jüngling wie ein Kind mit
der Natur und schien seine bevorstehende, für
seine kleinen Verhältnisse bedeutungsvolle Abreise,
ganz zu vergessen. Allein plötzlich fiel es ihm
schwer auf's Herz, als er nun vor seinem düstern
Vaterhause stand und die Mutter ihm ungedul¬
dig aus dem Fenster winkte. Schnell eilte er die
engen Treppen hinauf, den Wohngemächern der
Haushaltungen vorbei, die alle im Hause wohnten.

"Wo bleibst Du denn so lang?" empfing ihn
die Frau Lee, eine geringe Frau von etwa fünf
und vierzig Jahren, an welcher weiter nichts auf¬
fiel, als daß sie noch kohlschwarze schwere Haare
hatte, was ihr ein ziemlich junges Ansehen gab;
auch war sie um einen Kopf kleiner als ihr Sohn.

"Da habe ich schon angefangen, Deinen Kof¬

Fenſter der Stube glaͤnzte. Er ſah bei dieſer
Gelegenheit den grauen Kopf einer Matrone
nebſt einer kupfernen Kaffeekanne ſich dunkel auf
die Silberflaͤche einer zehn Meilen fernen Gletſcher¬
firne zeichnen und erinnerte ſich, daß er dieſes
Bild unveraͤndert geſehen, ſeit er ſich denken mochte.

So ſpielte dieſer Juͤngling wie ein Kind mit
der Natur und ſchien ſeine bevorſtehende, fuͤr
ſeine kleinen Verhaͤltniſſe bedeutungsvolle Abreiſe,
ganz zu vergeſſen. Allein ploͤtzlich fiel es ihm
ſchwer auf's Herz, als er nun vor ſeinem duͤſtern
Vaterhauſe ſtand und die Mutter ihm ungedul¬
dig aus dem Fenſter winkte. Schnell eilte er die
engen Treppen hinauf, den Wohngemaͤchern der
Haushaltungen vorbei, die alle im Hauſe wohnten.

»Wo bleibſt Du denn ſo lang?« empfing ihn
die Frau Lee, eine geringe Frau von etwa fuͤnf
und vierzig Jahren, an welcher weiter nichts auf¬
fiel, als daß ſie noch kohlſchwarze ſchwere Haare
hatte, was ihr ein ziemlich junges Anſehen gab;
auch war ſie um einen Kopf kleiner als ihr Sohn.

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[15/0029] Fenſter der Stube glaͤnzte. Er ſah bei dieſer Gelegenheit den grauen Kopf einer Matrone nebſt einer kupfernen Kaffeekanne ſich dunkel auf die Silberflaͤche einer zehn Meilen fernen Gletſcher¬ firne zeichnen und erinnerte ſich, daß er dieſes Bild unveraͤndert geſehen, ſeit er ſich denken mochte. So ſpielte dieſer Juͤngling wie ein Kind mit der Natur und ſchien ſeine bevorſtehende, fuͤr ſeine kleinen Verhaͤltniſſe bedeutungsvolle Abreiſe, ganz zu vergeſſen. Allein ploͤtzlich fiel es ihm ſchwer auf's Herz, als er nun vor ſeinem duͤſtern Vaterhauſe ſtand und die Mutter ihm ungedul¬ dig aus dem Fenſter winkte. Schnell eilte er die engen Treppen hinauf, den Wohngemaͤchern der Haushaltungen vorbei, die alle im Hauſe wohnten. »Wo bleibſt Du denn ſo lang?« empfing ihn die Frau Lee, eine geringe Frau von etwa fuͤnf und vierzig Jahren, an welcher weiter nichts auf¬ fiel, als daß ſie noch kohlſchwarze ſchwere Haare hatte, was ihr ein ziemlich junges Anſehen gab; auch war ſie um einen Kopf kleiner als ihr Sohn. »Da habe ich ſchon angefangen, Deinen Kof¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/29>, abgerufen am 23.04.2024.