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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Siebentes Kapitel.

Um diese Zeit wurde der zweite Lehrer des
Dorfes versetzt und an seine Stelle kam ein blut¬
junges Schulmeisterlein von kaum siebzehn Jahren,
welches bald ein Original in der Gegend wurde.
Es war ein wunderhübsches Bürschchen mit rosen¬
rothen Wänglein, einem kleinen lieblichen Munde,
mit einem kleinen Stumpfnäschen, blauen Augen
und blonden gelockten Haaren. Er nannte sich
selbst einen Philosophen, weshalb ihm dieser
Name allgemein zu Theil wurde, denn sein We¬
sen und Treiben war in allen Stücken absonder¬
lich. Mit einem vortrefflichen Gedächtnisse be¬
gabt, hatte er die zu seinem Berufe gehörigen
Kenntnisse bald erworben und sich im Seminare
daher mit dem Studium von allen möglichen
Philosophien abgegeben, welche er der Reihe nach
auswendig lernte; der Director dieser Anstalt war

Siebentes Kapitel.

Um dieſe Zeit wurde der zweite Lehrer des
Dorfes verſetzt und an ſeine Stelle kam ein blut¬
junges Schulmeiſterlein von kaum ſiebzehn Jahren,
welches bald ein Original in der Gegend wurde.
Es war ein wunderhuͤbſches Buͤrſchchen mit roſen¬
rothen Waͤnglein, einem kleinen lieblichen Munde,
mit einem kleinen Stumpfnaͤschen, blauen Augen
und blonden gelockten Haaren. Er nannte ſich
ſelbſt einen Philoſophen, weshalb ihm dieſer
Name allgemein zu Theil wurde, denn ſein We¬
ſen und Treiben war in allen Stuͤcken abſonder¬
lich. Mit einem vortrefflichen Gedaͤchtniſſe be¬
gabt, hatte er die zu ſeinem Berufe gehoͤrigen
Kenntniſſe bald erworben und ſich im Seminare
daher mit dem Studium von allen moͤglichen
Philoſophien abgegeben, welche er der Reihe nach
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[[252]/0262] Siebentes Kapitel. Um dieſe Zeit wurde der zweite Lehrer des Dorfes verſetzt und an ſeine Stelle kam ein blut¬ junges Schulmeiſterlein von kaum ſiebzehn Jahren, welches bald ein Original in der Gegend wurde. Es war ein wunderhuͤbſches Buͤrſchchen mit roſen¬ rothen Waͤnglein, einem kleinen lieblichen Munde, mit einem kleinen Stumpfnaͤschen, blauen Augen und blonden gelockten Haaren. Er nannte ſich ſelbſt einen Philoſophen, weshalb ihm dieſer Name allgemein zu Theil wurde, denn ſein We¬ ſen und Treiben war in allen Stuͤcken abſonder¬ lich. Mit einem vortrefflichen Gedaͤchtniſſe be¬ gabt, hatte er die zu ſeinem Berufe gehoͤrigen Kenntniſſe bald erworben und ſich im Seminare daher mit dem Studium von allen moͤglichen Philoſophien abgegeben, welche er der Reihe nach auswendig lernte; der Director dieſer Anſtalt war

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. [252]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/262>, abgerufen am 28.03.2024.