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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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Zweites Kapitel.

Da ich in dem Hause meines Liebchens zu
Gaste war, so erwachte ich am Morgen sehr früh,
noch eh' eine Seele sich regte. Ich machte das
Fenster auf und sah lange auf den See hinaus,
dessen waldige Uferhöhen vom Morgenrothe be¬
glänzt waren, indessen der späte Mond noch am
Himmel stand und sich ziemlich kräftig im dunk¬
len Wasser spiegelte. Ich sah ihn nach und nach
erbleichen vor der Sonne, welche nun die gelben
Kronen der Bäume vergoldete und einen zarten
Schimmer über den erblauenden See warf. Zu¬
gleich aber begann die Luft sich wieder zu ver¬
hüllen, ein leiser Nebel zog sich erst wie ein Sil¬
berschleier um alle Gegenstände, und indem er
ein glänzendes Bild um das andere auslöschte,
daß sich rings ein Reigen von aufleuchtendem

Zweites Kapitel.

Da ich in dem Hauſe meines Liebchens zu
Gaſte war, ſo erwachte ich am Morgen ſehr fruͤh,
noch eh' eine Seele ſich regte. Ich machte das
Fenſter auf und ſah lange auf den See hinaus,
deſſen waldige Uferhoͤhen vom Morgenrothe be¬
glaͤnzt waren, indeſſen der ſpaͤte Mond noch am
Himmel ſtand und ſich ziemlich kraͤftig im dunk¬
len Waſſer ſpiegelte. Ich ſah ihn nach und nach
erbleichen vor der Sonne, welche nun die gelben
Kronen der Baͤume vergoldete und einen zarten
Schimmer uͤber den erblauenden See warf. Zu¬
gleich aber begann die Luft ſich wieder zu ver¬
huͤllen, ein leiſer Nebel zog ſich erſt wie ein Sil¬
berſchleier um alle Gegenſtaͤnde, und indem er
ein glaͤnzendes Bild um das andere ausloͤſchte,
daß ſich rings ein Reigen von aufleuchtendem

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[0065] Zweites Kapitel. Da ich in dem Hauſe meines Liebchens zu Gaſte war, ſo erwachte ich am Morgen ſehr fruͤh, noch eh' eine Seele ſich regte. Ich machte das Fenſter auf und ſah lange auf den See hinaus, deſſen waldige Uferhoͤhen vom Morgenrothe be¬ glaͤnzt waren, indeſſen der ſpaͤte Mond noch am Himmel ſtand und ſich ziemlich kraͤftig im dunk¬ len Waſſer ſpiegelte. Ich ſah ihn nach und nach erbleichen vor der Sonne, welche nun die gelben Kronen der Baͤume vergoldete und einen zarten Schimmer uͤber den erblauenden See warf. Zu¬ gleich aber begann die Luft ſich wieder zu ver¬ huͤllen, ein leiſer Nebel zog ſich erſt wie ein Sil¬ berſchleier um alle Gegenſtaͤnde, und indem er ein glaͤnzendes Bild um das andere ausloͤſchte, daß ſich rings ein Reigen von aufleuchtendem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/65>, abgerufen am 24.04.2024.