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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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wohl hergestellt und guten Muthes wieder aus¬
laufen werden! Aber nun hören Sie, sie sind mir
ja ein köstlicher Gesell! Wir blieben gestern Nacht
noch ziemlich lange auf und da wir von Ihnen
sprachen, fiel uns ein, daß die Bildermappe noch
im übel verschlossenen Gartensaale lag. Ich gehe
selbst hin, sie zu holen, denn ich wünschte nicht,
daß irgend ein Unheil damit geschehe, und be¬
merke, daß auf dem Kaminsims eines kleines
verkommenes Packetchen liegt; ich mußte lachen
und dachte: Gewiß sind dies die anmüthigen Ef¬
fektchen unseres armen Kauzes von Vagabunden!
Ich nahm es in die Hand und fand, daß die
Hülle vom Regen und vom Tragen aufgelöst war
und auseinanderfiel, und siehe da, statt etwa eines
Strumpfes oder eines Schnupftuches, wie ich
dachte, fällt mir ein ganz durchnäßtes Buch in
die Hand; neugierig schlage ich es auf und sehe
lauter Geschriebenes, und indem ich die erste Seite
lese, vermuthe ich sogleich, daß Sie ihre eigene
Geschichte geschrieben haben. Ich sehe das Ding
etwas genauer an und erkenne an den Data, daß
es Ihre Jugendgeschichte ist, die Sie schon damals

wohl hergeſtellt und guten Muthes wieder aus¬
laufen werden! Aber nun hoͤren Sie, ſie ſind mir
ja ein koͤſtlicher Geſell! Wir blieben geſtern Nacht
noch ziemlich lange auf und da wir von Ihnen
ſprachen, fiel uns ein, daß die Bildermappe noch
im uͤbel verſchloſſenen Gartenſaale lag. Ich gehe
ſelbſt hin, ſie zu holen, denn ich wuͤnſchte nicht,
daß irgend ein Unheil damit geſchehe, und be¬
merke, daß auf dem Kaminſims eines kleines
verkommenes Packetchen liegt; ich mußte lachen
und dachte: Gewiß ſind dies die anmuͤthigen Ef¬
fektchen unſeres armen Kauzes von Vagabunden!
Ich nahm es in die Hand und fand, daß die
Huͤlle vom Regen und vom Tragen aufgeloͤſt war
und auseinanderfiel, und ſiehe da, ſtatt etwa eines
Strumpfes oder eines Schnupftuches, wie ich
dachte, faͤllt mir ein ganz durchnaͤßtes Buch in
die Hand; neugierig ſchlage ich es auf und ſehe
lauter Geſchriebenes, und indem ich die erſte Seite
leſe, vermuthe ich ſogleich, daß Sie ihre eigene
Geſchichte geſchrieben haben. Ich ſehe das Ding
etwas genauer an und erkenne an den Data, daß
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[327/0337] wohl hergeſtellt und guten Muthes wieder aus¬ laufen werden! Aber nun hoͤren Sie, ſie ſind mir ja ein koͤſtlicher Geſell! Wir blieben geſtern Nacht noch ziemlich lange auf und da wir von Ihnen ſprachen, fiel uns ein, daß die Bildermappe noch im uͤbel verſchloſſenen Gartenſaale lag. Ich gehe ſelbſt hin, ſie zu holen, denn ich wuͤnſchte nicht, daß irgend ein Unheil damit geſchehe, und be¬ merke, daß auf dem Kaminſims eines kleines verkommenes Packetchen liegt; ich mußte lachen und dachte: Gewiß ſind dies die anmuͤthigen Ef¬ fektchen unſeres armen Kauzes von Vagabunden! Ich nahm es in die Hand und fand, daß die Huͤlle vom Regen und vom Tragen aufgeloͤſt war und auseinanderfiel, und ſiehe da, ſtatt etwa eines Strumpfes oder eines Schnupftuches, wie ich dachte, faͤllt mir ein ganz durchnaͤßtes Buch in die Hand; neugierig ſchlage ich es auf und ſehe lauter Geſchriebenes, und indem ich die erſte Seite leſe, vermuthe ich ſogleich, daß Sie ihre eigene Geſchichte geſchrieben haben. Ich ſehe das Ding etwas genauer an und erkenne an den Data, daß es Ihre Jugendgeſchichte iſt, die Sie ſchon damals

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/337>, abgerufen am 29.03.2024.