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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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den Namen seiner Mutter verkünden mit ihrem
Geburts- und Todestage und die Zahl ihrer
Jahre mit ihrem Herkommen und ihrem Stande.

Ohne weiter zu hören, ging er hinaus und
suchte das Grab, an welchem der Sarg stand
auf der Bahre. Eben nahm der altbekannte
Todtengräber die obere schwarze Tuchdecke von
demselben und legte sie bedächtig zusammen,
dann die untere von weißer Leinwand, welche
der Sitte gemäß eine Handbreit unter der schwar¬
zen Decke hervorsehen muß, und endlich stand
das bloße rosige Tannenholz da. Heinrich konnte
nicht durch die Bretter hindurchsehen, er sah nur,
wie jetzt der Sarg in die Erde gesenkt und
mit derselben zugedeckt wurde, und er rührte sich
nicht. Die Leute verliefen sich, unter denen Hein¬
rich eine Menge sah und kannte, ohne sie doch
zu sehen und zu kennen; der Kirchhof leerte sich,
und ein Mann nahm ihn bei der Hand und
führte ihn auch fort. Es war der brave Nach¬
bar, welcher auf seiner Hochzeitreise ihn erst auf¬
gesucht und ihm Nachricht von der Mutter ge¬

den Namen ſeiner Mutter verkuͤnden mit ihrem
Geburts- und Todestage und die Zahl ihrer
Jahre mit ihrem Herkommen und ihrem Stande.

Ohne weiter zu hoͤren, ging er hinaus und
ſuchte das Grab, an welchem der Sarg ſtand
auf der Bahre. Eben nahm der altbekannte
Todtengraͤber die obere ſchwarze Tuchdecke von
demſelben und legte ſie bedaͤchtig zuſammen,
dann die untere von weißer Leinwand, welche
der Sitte gemaͤß eine Handbreit unter der ſchwar¬
zen Decke hervorſehen muß, und endlich ſtand
das bloße roſige Tannenholz da. Heinrich konnte
nicht durch die Bretter hindurchſehen, er ſah nur,
wie jetzt der Sarg in die Erde geſenkt und
mit derſelben zugedeckt wurde, und er ruͤhrte ſich
nicht. Die Leute verliefen ſich, unter denen Hein¬
rich eine Menge ſah und kannte, ohne ſie doch
zu ſehen und zu kennen; der Kirchhof leerte ſich,
und ein Mann nahm ihn bei der Hand und
fuͤhrte ihn auch fort. Es war der brave Nach¬
bar, welcher auf ſeiner Hochzeitreiſe ihn erſt auf¬
geſucht und ihm Nachricht von der Mutter ge¬

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[470/0480] den Namen ſeiner Mutter verkuͤnden mit ihrem Geburts- und Todestage und die Zahl ihrer Jahre mit ihrem Herkommen und ihrem Stande. Ohne weiter zu hoͤren, ging er hinaus und ſuchte das Grab, an welchem der Sarg ſtand auf der Bahre. Eben nahm der altbekannte Todtengraͤber die obere ſchwarze Tuchdecke von demſelben und legte ſie bedaͤchtig zuſammen, dann die untere von weißer Leinwand, welche der Sitte gemaͤß eine Handbreit unter der ſchwar¬ zen Decke hervorſehen muß, und endlich ſtand das bloße roſige Tannenholz da. Heinrich konnte nicht durch die Bretter hindurchſehen, er ſah nur, wie jetzt der Sarg in die Erde geſenkt und mit derſelben zugedeckt wurde, und er ruͤhrte ſich nicht. Die Leute verliefen ſich, unter denen Hein¬ rich eine Menge ſah und kannte, ohne ſie doch zu ſehen und zu kennen; der Kirchhof leerte ſich, und ein Mann nahm ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn auch fort. Es war der brave Nach¬ bar, welcher auf ſeiner Hochzeitreiſe ihn erſt auf¬ geſucht und ihm Nachricht von der Mutter ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/480>, abgerufen am 28.03.2024.