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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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unmöglich machte, so brach in dieser Nacht die
Thatsache sein innerstes Leben, daß sie endlich
mußte geglaubt haben, ihn als keinen guten
Sohn zu durchschauen, und es fielen ihm unge¬
rufen jene furchtbaren Worte ein, welche Man¬
fred von einem durch ihn vernichteten blutsver¬
wandten weiblichen Wesen spricht:

Nicht meine Hand, mein Herz das brach das Ihre,
Es welkte, mich durchschauend.

Es war ihm, als ob alle Mütter der Erde
ihn durchschauten, alle glücklichen ihn verachteten
und alle unglücklichen ihn haßten, als auch zur
Rotte Korah gehörig. Da nun aber in Wirklich¬
keit nichts an ihm zu durchschauen war, als das
lauterste und reinste Wasser eines ehrlichen Wol¬
lens, wie er jetzt war, so erschien ihm dies Leben
wie eine abscheuliche, tückische Hintergehung,
wie eine niederträchtige und tödtliche Narrethei
und Vexation, und er brauchte alle Mühen seiner
ringenden Vernunft, um diese Vorstellung zu
unterdrücken und der guten Meinung der Welt
ihr Recht zu geben.

unmoͤglich machte, ſo brach in dieſer Nacht die
Thatſache ſein innerſtes Leben, daß ſie endlich
mußte geglaubt haben, ihn als keinen guten
Sohn zu durchſchauen, und es fielen ihm unge¬
rufen jene furchtbaren Worte ein, welche Man¬
fred von einem durch ihn vernichteten blutsver¬
wandten weiblichen Weſen ſpricht:

Nicht meine Hand, mein Herz das brach das Ihre,
Es welkte, mich durchſchauend.

Es war ihm, als ob alle Muͤtter der Erde
ihn durchſchauten, alle gluͤcklichen ihn verachteten
und alle ungluͤcklichen ihn haßten, als auch zur
Rotte Korah gehoͤrig. Da nun aber in Wirklich¬
keit nichts an ihm zu durchſchauen war, als das
lauterſte und reinſte Waſſer eines ehrlichen Wol¬
lens, wie er jetzt war, ſo erſchien ihm dies Leben
wie eine abſcheuliche, tuͤckiſche Hintergehung,
wie eine niedertraͤchtige und toͤdtliche Narrethei
und Vexation, und er brauchte alle Muͤhen ſeiner
ringenden Vernunft, um dieſe Vorſtellung zu
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ihr Recht zu geben.

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[475/0485] unmoͤglich machte, ſo brach in dieſer Nacht die Thatſache ſein innerſtes Leben, daß ſie endlich mußte geglaubt haben, ihn als keinen guten Sohn zu durchſchauen, und es fielen ihm unge¬ rufen jene furchtbaren Worte ein, welche Man¬ fred von einem durch ihn vernichteten blutsver¬ wandten weiblichen Weſen ſpricht: Nicht meine Hand, mein Herz das brach das Ihre, Es welkte, mich durchſchauend. Es war ihm, als ob alle Muͤtter der Erde ihn durchſchauten, alle gluͤcklichen ihn verachteten und alle ungluͤcklichen ihn haßten, als auch zur Rotte Korah gehoͤrig. Da nun aber in Wirklich¬ keit nichts an ihm zu durchſchauen war, als das lauterſte und reinſte Waſſer eines ehrlichen Wol¬ lens, wie er jetzt war, ſo erſchien ihm dies Leben wie eine abſcheuliche, tuͤckiſche Hintergehung, wie eine niedertraͤchtige und toͤdtliche Narrethei und Vexation, und er brauchte alle Muͤhen ſeiner ringenden Vernunft, um dieſe Vorſtellung zu unterdruͤcken und der guten Meinung der Welt ihr Recht zu geben.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/485>, abgerufen am 24.04.2024.