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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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war die Jagd, welche es jedoch mit Vernunft
und Mäßigung befriedigte, ohne sich durch den
Umstand, daß diese Leidenschaft zugleich einen
nützlichen Zweck hatte und seiner Herrin wohl¬
gefiel, beschönigen zu wollen und allzusehr zur
Grausamkeit hinreißen zu lassen. Es fing und
tödtete daher nur die zudringlichsten und frechsten
Mäuse, welche sich in einem gewissen Umkreise
des Hauses betreten ließen, aber diese dann mit
zuverlässiger Geschicklichkeit; nur selten verfolgte
es eine besonders pfiffige Maus, welche seinen
Zorn gereizt hatte, über diesen Umkreis hinaus
und erbat sich in diesem Falle mit vieler Höf¬
lichkeit von den Herren Nachbaren die Erlaub¬
niß, in ihren Häusern ein wenig mausen zu
dürfen, was ihm gerne gewährt wurde, da es
die Milchtöpfe stehen ließ, nicht an die Schinken
hinaufsprang, welche etwa an den Wänden hin¬
gen, sondern seinem Geschäfte still und aufmerk¬
sam oblag und, nachdem es dieses verrichtet,
sich mit dem Mäuslein im Maule anständig
entfernte. Auch war das Kätzchen gar nicht
scheu und unartig, sondern zutraulich gegen Jeder¬
mann und floh nicht vor vernünftigen Leuten;

war die Jagd, welche es jedoch mit Vernunft
und Mäßigung befriedigte, ohne ſich durch den
Umſtand, daß dieſe Leidenſchaft zugleich einen
nützlichen Zweck hatte und ſeiner Herrin wohl¬
gefiel, beſchönigen zu wollen und allzuſehr zur
Grauſamkeit hinreißen zu laſſen. Es fing und
tödtete daher nur die zudringlichſten und frechſten
Mäuſe, welche ſich in einem gewiſſen Umkreiſe
des Hauſes betreten ließen, aber dieſe dann mit
zuverläſſiger Geſchicklichkeit; nur ſelten verfolgte
es eine beſonders pfiffige Maus, welche ſeinen
Zorn gereizt hatte, über dieſen Umkreis hinaus
und erbat ſich in dieſem Falle mit vieler Höf¬
lichkeit von den Herren Nachbaren die Erlaub¬
niß, in ihren Häuſern ein wenig mauſen zu
dürfen, was ihm gerne gewährt wurde, da es
die Milchtöpfe ſtehen ließ, nicht an die Schinken
hinaufſprang, welche etwa an den Wänden hin¬
gen, ſondern ſeinem Geſchäfte ſtill und aufmerk¬
ſam oblag und, nachdem es dieſes verrichtet,
ſich mit dem Mäuslein im Maule anſtändig
entfernte. Auch war das Kätzchen gar nicht
ſcheu und unartig, ſondern zutraulich gegen Jeder¬
mann und floh nicht vor vernünftigen Leuten;

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[448/0460] war die Jagd, welche es jedoch mit Vernunft und Mäßigung befriedigte, ohne ſich durch den Umſtand, daß dieſe Leidenſchaft zugleich einen nützlichen Zweck hatte und ſeiner Herrin wohl¬ gefiel, beſchönigen zu wollen und allzuſehr zur Grauſamkeit hinreißen zu laſſen. Es fing und tödtete daher nur die zudringlichſten und frechſten Mäuſe, welche ſich in einem gewiſſen Umkreiſe des Hauſes betreten ließen, aber dieſe dann mit zuverläſſiger Geſchicklichkeit; nur ſelten verfolgte es eine beſonders pfiffige Maus, welche ſeinen Zorn gereizt hatte, über dieſen Umkreis hinaus und erbat ſich in dieſem Falle mit vieler Höf¬ lichkeit von den Herren Nachbaren die Erlaub¬ niß, in ihren Häuſern ein wenig mauſen zu dürfen, was ihm gerne gewährt wurde, da es die Milchtöpfe ſtehen ließ, nicht an die Schinken hinaufſprang, welche etwa an den Wänden hin¬ gen, ſondern ſeinem Geſchäfte ſtill und aufmerk¬ ſam oblag und, nachdem es dieſes verrichtet, ſich mit dem Mäuslein im Maule anſtändig entfernte. Auch war das Kätzchen gar nicht ſcheu und unartig, ſondern zutraulich gegen Jeder¬ mann und floh nicht vor vernünftigen Leuten;

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/460>, abgerufen am 25.04.2024.