Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

sich her in die Hochzeitkammer, wo sie mit höl¬
lischen Künsten ihn auf eine Folter spannte, wie
noch kein Sterblicher erlebt. So war er nun
mit der Alten unauflöslich verehlicht, und in der
Stadt hieß es, als es ruchbar wurde: Ei seht,
wie stille Wasser tief sind! Wer hätte gedacht,
daß die fromme Beghine und der Herr Stadt¬
hexenmeister sich noch verheirathen würden! Nun,
es ist ein ehrbares und rechtliches Paar, wenn
auch nicht sehr liebenswürdig!

Herr Pineiß aber führte von nun an ein
erbärmliches Leben; seine Gattin hatte sich so¬
gleich in den Besitz aller seiner Geheimnisse ge¬
setzt und beherrschte und unterdrückte ihn voll¬
ständig. Es war ihm nicht die geringste Frei¬
heit und Erholung gestattet, er mußte hexen vom
Morgen bis zum Abend, was das Zeug halten
wollte, und wenn Spiegel vorüberging und es
sah, sagte er freundlich: "Immer fleißig, fleißig,
Herr Pineiß?"

Seit dieser Zeit sagt man zu Seldwyla:
Er hat der Katze den Schmeer abgekauft! be¬
sonders wenn Einer eine böse und widerwärtige
Frau erhandelt hat.


ſich her in die Hochzeitkammer, wo ſie mit höl¬
liſchen Künſten ihn auf eine Folter ſpannte, wie
noch kein Sterblicher erlebt. So war er nun
mit der Alten unauflöslich verehlicht, und in der
Stadt hieß es, als es ruchbar wurde: Ei ſeht,
wie ſtille Waſſer tief ſind! Wer hätte gedacht,
daß die fromme Beghine und der Herr Stadt¬
hexenmeiſter ſich noch verheirathen würden! Nun,
es iſt ein ehrbares und rechtliches Paar, wenn
auch nicht ſehr liebenswürdig!

Herr Pineiß aber führte von nun an ein
erbärmliches Leben; ſeine Gattin hatte ſich ſo¬
gleich in den Beſitz aller ſeiner Geheimniſſe ge¬
ſetzt und beherrſchte und unterdrückte ihn voll¬
ſtändig. Es war ihm nicht die geringſte Frei¬
heit und Erholung geſtattet, er mußte hexen vom
Morgen bis zum Abend, was das Zeug halten
wollte, und wenn Spiegel vorüberging und es
ſah, ſagte er freundlich: »Immer fleißig, fleißig,
Herr Pineiß?«

Seit dieſer Zeit ſagt man zu Seldwyla:
Er hat der Katze den Schmeer abgekauft! be¬
ſonders wenn Einer eine böſe und widerwärtige
Frau erhandelt hat.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0535" n="523"/>
&#x017F;ich her in die Hochzeitkammer, wo &#x017F;ie mit höl¬<lb/>
li&#x017F;chen Kün&#x017F;ten ihn auf eine Folter &#x017F;pannte, wie<lb/>
noch kein Sterblicher erlebt. So war er nun<lb/>
mit der Alten unauflöslich verehlicht, und in der<lb/>
Stadt hieß es, als es ruchbar wurde: Ei &#x017F;eht,<lb/>
wie &#x017F;tille Wa&#x017F;&#x017F;er tief &#x017F;ind! Wer hätte gedacht,<lb/>
daß die fromme Beghine und der Herr Stadt¬<lb/>
hexenmei&#x017F;ter &#x017F;ich noch verheirathen würden! Nun,<lb/>
es i&#x017F;t ein ehrbares und rechtliches Paar, wenn<lb/>
auch nicht &#x017F;ehr liebenswürdig!</p><lb/>
          <p>Herr Pineiß aber führte von nun an ein<lb/>
erbärmliches Leben; &#x017F;eine Gattin hatte &#x017F;ich &#x017F;<lb/>
gleich in den Be&#x017F;itz aller &#x017F;einer Geheimni&#x017F;&#x017F;e ge¬<lb/>
&#x017F;etzt und beherr&#x017F;chte und unterdrückte ihn voll¬<lb/>
&#x017F;tändig. Es war ihm nicht die gering&#x017F;te Frei¬<lb/>
heit und Erholung ge&#x017F;tattet, er mußte hexen vom<lb/>
Morgen bis zum Abend, was das Zeug halten<lb/>
wollte, und wenn Spiegel vorüberging und es<lb/>
&#x017F;ah, &#x017F;agte er freundlich: »Immer fleißig, fleißig,<lb/>
Herr Pineiß?«</p><lb/>
          <p>Seit die&#x017F;er Zeit &#x017F;agt man zu Seldwyla:<lb/>
Er hat der Katze den Schmeer abgekauft! be¬<lb/>
&#x017F;onders wenn Einer eine bö&#x017F;e und widerwärtige<lb/>
Frau erhandelt hat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[523/0535] ſich her in die Hochzeitkammer, wo ſie mit höl¬ liſchen Künſten ihn auf eine Folter ſpannte, wie noch kein Sterblicher erlebt. So war er nun mit der Alten unauflöslich verehlicht, und in der Stadt hieß es, als es ruchbar wurde: Ei ſeht, wie ſtille Waſſer tief ſind! Wer hätte gedacht, daß die fromme Beghine und der Herr Stadt¬ hexenmeiſter ſich noch verheirathen würden! Nun, es iſt ein ehrbares und rechtliches Paar, wenn auch nicht ſehr liebenswürdig! Herr Pineiß aber führte von nun an ein erbärmliches Leben; ſeine Gattin hatte ſich ſo¬ gleich in den Beſitz aller ſeiner Geheimniſſe ge¬ ſetzt und beherrſchte und unterdrückte ihn voll¬ ſtändig. Es war ihm nicht die geringſte Frei¬ heit und Erholung geſtattet, er mußte hexen vom Morgen bis zum Abend, was das Zeug halten wollte, und wenn Spiegel vorüberging und es ſah, ſagte er freundlich: »Immer fleißig, fleißig, Herr Pineiß?« Seit dieſer Zeit ſagt man zu Seldwyla: Er hat der Katze den Schmeer abgekauft! be¬ ſonders wenn Einer eine böſe und widerwärtige Frau erhandelt hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/535
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/535>, abgerufen am 28.03.2024.