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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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scheinung zu meinen Gunsten auszulegen und zu glauben,
nun komme die Reihe, als Abwesender oder gar Ver¬
lorener zu glänzen und betrauert zu werden, an meine
werthe Person. Ich überlegte, wie ich mich dazu zu stellen
habe: Ob ich edel gesinnt die Dinge nach Abrede gehen
lassen und dem Rivalen vertrauensvoll das Feld räumen,
oder ob ich den Vortheil benutzen und mit dem Gewicht
der neuen Sachlage dem Zünglein der Waage einen
leichten, aber plötzlichen Stoß geben solle?

Hildeburg selbst schien mir entgegen zu kommen; sie
veranlaßte ihre Eltern, mir zu Ehren ein Abschiedsessen
zu geben, und mich forderte sie bei der Einladung auf,
es so einzurichten, daß ich auch den Abend bleiben könne.
Ein Bett für mich solle trotz der mangelhaften Einrichtung
bereit sein, meinte sie, und vor Gespenstern würde ich
mich wol kaum genieren. Denn es gehe die Rede, daß
in dem älteren Flügel des Hauses etwas nicht richtig sei.

In der That hatten die Dienstboten von einem alten
Gärtner dergleichen Reden gehört und mit eigenen Beob¬
achtungen, die sie zu machen glaubten, ergänzt. Während
der Mahlzeit, welche reich und belebt genug war, gerieth
die Unterhaltung ebenfalls auf diesen Gegenstand. Die
alte Mama beklagte sich über so beunruhigende Herum¬
bietungen, die doch keinen vernünftigen Grund haben
könnten; der alte Herr verwies darauf, daß mit Luft
und Licht und frischer Tünche der neuen Arbeiten
das Unwesen sich wol verziehen werde. Mich aber stach

ſcheinung zu meinen Gunſten auszulegen und zu glauben,
nun komme die Reihe, als Abweſender oder gar Ver¬
lorener zu glänzen und betrauert zu werden, an meine
werthe Perſon. Ich überlegte, wie ich mich dazu zu ſtellen
habe: Ob ich edel geſinnt die Dinge nach Abrede gehen
laſſen und dem Rivalen vertrauensvoll das Feld räumen,
oder ob ich den Vortheil benutzen und mit dem Gewicht
der neuen Sachlage dem Zünglein der Waage einen
leichten, aber plötzlichen Stoß geben ſolle?

Hildeburg ſelbſt ſchien mir entgegen zu kommen; ſie
veranlaßte ihre Eltern, mir zu Ehren ein Abſchiedseſſen
zu geben, und mich forderte ſie bei der Einladung auf,
es ſo einzurichten, daß ich auch den Abend bleiben könne.
Ein Bett für mich ſolle trotz der mangelhaften Einrichtung
bereit ſein, meinte ſie, und vor Geſpenſtern würde ich
mich wol kaum genieren. Denn es gehe die Rede, daß
in dem älteren Flügel des Hauſes etwas nicht richtig ſei.

In der That hatten die Dienſtboten von einem alten
Gärtner dergleichen Reden gehört und mit eigenen Beob¬
achtungen, die ſie zu machen glaubten, ergänzt. Während
der Mahlzeit, welche reich und belebt genug war, gerieth
die Unterhaltung ebenfalls auf dieſen Gegenſtand. Die
alte Mama beklagte ſich über ſo beunruhigende Herum¬
bietungen, die doch keinen vernünftigen Grund haben
könnten; der alte Herr verwies darauf, daß mit Luft
und Licht und friſcher Tünche der neuen Arbeiten
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[238/0248] ſcheinung zu meinen Gunſten auszulegen und zu glauben, nun komme die Reihe, als Abweſender oder gar Ver¬ lorener zu glänzen und betrauert zu werden, an meine werthe Perſon. Ich überlegte, wie ich mich dazu zu ſtellen habe: Ob ich edel geſinnt die Dinge nach Abrede gehen laſſen und dem Rivalen vertrauensvoll das Feld räumen, oder ob ich den Vortheil benutzen und mit dem Gewicht der neuen Sachlage dem Zünglein der Waage einen leichten, aber plötzlichen Stoß geben ſolle? Hildeburg ſelbſt ſchien mir entgegen zu kommen; ſie veranlaßte ihre Eltern, mir zu Ehren ein Abſchiedseſſen zu geben, und mich forderte ſie bei der Einladung auf, es ſo einzurichten, daß ich auch den Abend bleiben könne. Ein Bett für mich ſolle trotz der mangelhaften Einrichtung bereit ſein, meinte ſie, und vor Geſpenſtern würde ich mich wol kaum genieren. Denn es gehe die Rede, daß in dem älteren Flügel des Hauſes etwas nicht richtig ſei. In der That hatten die Dienſtboten von einem alten Gärtner dergleichen Reden gehört und mit eigenen Beob¬ achtungen, die ſie zu machen glaubten, ergänzt. Während der Mahlzeit, welche reich und belebt genug war, gerieth die Unterhaltung ebenfalls auf dieſen Gegenſtand. Die alte Mama beklagte ſich über ſo beunruhigende Herum¬ bietungen, die doch keinen vernünftigen Grund haben könnten; der alte Herr verwies darauf, daß mit Luft und Licht und friſcher Tünche der neuen Arbeiten das Unweſen ſich wol verziehen werde. Mich aber ſtach

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/248>, abgerufen am 25.04.2024.