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Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

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Von den Werkzeugen der Sprache.
auf ein Sandkorn wendet, so steht oft das Athem-
holen ganz stille, um in dem Körper keine Bewe-
gung zu verursachen, die die Aufmerksamkeit schwä-
chen könnte. Wenn er sodann zur Betrachtung eines
anderen Gegenstandes, etwan einer Mücke, über-
geht, so macht die Lunge ungezweifelt einen tiefen
Athemzug, und steht dann gleich wieder eine Zeit
lang stille.

Es ist sehr unterhaltend dem veränderlichen
Spiele der Lunge zuzusehen. Man sieht es einem
Menschen, ohne daß er ein Wort spricht, an sei-
nem Athemholen ab, wie es innerlich bey ihm un-
gefähr sieht, ob sein Gemüth ruhig, beklemmt,
zufrieden oder aufgebracht ist. Sogar bey jemanden,
der sich in dem ruhigsten Zustande der Seele befin-
det, bemerken wir zuweilen eine ganz unvermuthete
Veränderung, und wir können oft den Zeitpunkt
angeben, wann in ihm ein Gedanke mit dem ande-
ren abwechselt, ich will nicht sagen, wann ein trau-
riger oder verdrüßlicher Gedanke in ihm aufsteigt,
und seinen Geist mit Einem ganz umstimmet, da ist
es ganz natürlich. Aber auch wenn der neue Ge-

danke
E 2

Von den Werkzeugen der Sprache.
auf ein Sandkorn wendet, ſo ſteht oft das Athem-
holen ganz ſtille, um in dem Koͤrper keine Bewe-
gung zu verurſachen, die die Aufmerkſamkeit ſchwaͤ-
chen koͤnnte. Wenn er ſodann zur Betrachtung eines
anderen Gegenſtandes, etwan einer Muͤcke, uͤber-
geht, ſo macht die Lunge ungezweifelt einen tiefen
Athemzug, und ſteht dann gleich wieder eine Zeit
lang ſtille.

Es iſt ſehr unterhaltend dem veraͤnderlichen
Spiele der Lunge zuzuſehen. Man ſieht es einem
Menſchen, ohne daß er ein Wort ſpricht, an ſei-
nem Athemholen ab, wie es innerlich bey ihm un-
gefaͤhr ſieht, ob ſein Gemuͤth ruhig, beklemmt,
zufrieden oder aufgebracht iſt. Sogar bey jemanden,
der ſich in dem ruhigſten Zuſtande der Seele befin-
det, bemerken wir zuweilen eine ganz unvermuthete
Veraͤnderung, und wir koͤnnen oft den Zeitpunkt
angeben, wann in ihm ein Gedanke mit dem ande-
ren abwechſelt, ich will nicht ſagen, wann ein trau-
riger oder verdruͤßlicher Gedanke in ihm aufſteigt,
und ſeinen Geiſt mit Einem ganz umſtimmet, da iſt
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danke
E 2
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[67/0095] Von den Werkzeugen der Sprache. auf ein Sandkorn wendet, ſo ſteht oft das Athem- holen ganz ſtille, um in dem Koͤrper keine Bewe- gung zu verurſachen, die die Aufmerkſamkeit ſchwaͤ- chen koͤnnte. Wenn er ſodann zur Betrachtung eines anderen Gegenſtandes, etwan einer Muͤcke, uͤber- geht, ſo macht die Lunge ungezweifelt einen tiefen Athemzug, und ſteht dann gleich wieder eine Zeit lang ſtille. Es iſt ſehr unterhaltend dem veraͤnderlichen Spiele der Lunge zuzuſehen. Man ſieht es einem Menſchen, ohne daß er ein Wort ſpricht, an ſei- nem Athemholen ab, wie es innerlich bey ihm un- gefaͤhr ſieht, ob ſein Gemuͤth ruhig, beklemmt, zufrieden oder aufgebracht iſt. Sogar bey jemanden, der ſich in dem ruhigſten Zuſtande der Seele befin- det, bemerken wir zuweilen eine ganz unvermuthete Veraͤnderung, und wir koͤnnen oft den Zeitpunkt angeben, wann in ihm ein Gedanke mit dem ande- ren abwechſelt, ich will nicht ſagen, wann ein trau- riger oder verdruͤßlicher Gedanke in ihm aufſteigt, und ſeinen Geiſt mit Einem ganz umſtimmet, da iſt es ganz natuͤrlich. Aber auch wenn der neue Ge- danke E 2

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Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/95>, abgerufen am 16.04.2024.