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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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näres des menschlichen Herzens seyn, was ihrer Natur wi-
derspricht, da sie nie einen allgemeinen Charakter annimmt.

2) Diese Personen läugnen, wie aus den Protokollen er-
hellt, anfangs sehr hartnäckig, gestehen, widerrufen und
gestehen wieder. Dieß ist gegen die Natur einer fixen Idee,
die eben, weil sie fix ist, sich getreu bleibt.

3) Die Angaben harmoniren mit den Thatsachen, und
dieß unter Umständen, wo das verübte Uebel einer blos
natürlichen Ursache und nicht dem Zauber zugeschrieben wird.
Dieß verträgt sich nicht mit der Beschaffenheit einer fixen
Idee.

4) Wenn in der Jugend verführte Kinder unbefangen
erzählen, was sie sahen und erfuhren, und Dinge beschrei-
ben, welche weit über ihren Horizont gehen, und nicht aus
ihnen selbst als Fictionen, Visionen und Phantasmen her-
vorgehen konnten, wenn diese Beschreibung mit allen an-
dern Geschichten genau übereinstimmt, so muß wohl dieser
Uebereinstimmung ein faktischer Bestand zum Grunde lie-
gen, was die Annahme einer fixen Idee gänzlich zurückweist.

5) Da der Charakter der fixen Idee darin besteht, daß
ihr Inhalt nicht mit der Wirklichkeit und mit dem festen
Anschauungsgesetz von Raum und Zeit übereinstimmt, also
unwahr ist, so kann die strenge Consequenz der Verbrechen,
die im Namen des Teufels verübt werden, eben so wenig
eine fixe Idee seyn, als es die Consequenz frommer Hand-
lungen im Namen Gottes ist. Wollte man es so weit treiben,
so würde man zuletzt Mühe haben, die fixe Idee von der
gesunden Vernunft zu unterscheiden, und der Mensch würde
sich selbst zu einer Ironie machen. Daß bey Verbrechen
die fixe Idee einen Causal-Zusammenhang mit der Wirk-
lichkeit habe, hat wohl noch kein Mensch behauptet.

6) Am meisten aber widerspricht der Annahme einer fixen
Idee, daß die Depositionen der Zeugen mit den in beyden
Protokollen eingestandenen Vergehen genau übereinstimmten.
Denn wir müßten im andern Falle annehmen, daß die fixe

näres des menſchlichen Herzens ſeyn, was ihrer Natur wi-
derſpricht, da ſie nie einen allgemeinen Charakter annimmt.

2) Dieſe Perſonen läugnen, wie aus den Protokollen er-
hellt, anfangs ſehr hartnäckig, geſtehen, widerrufen und
geſtehen wieder. Dieß iſt gegen die Natur einer fixen Idee,
die eben, weil ſie fix iſt, ſich getreu bleibt.

3) Die Angaben harmoniren mit den Thatſachen, und
dieß unter Umſtänden, wo das verübte Uebel einer blos
natürlichen Urſache und nicht dem Zauber zugeſchrieben wird.
Dieß verträgt ſich nicht mit der Beſchaffenheit einer fixen
Idee.

4) Wenn in der Jugend verführte Kinder unbefangen
erzählen, was ſie ſahen und erfuhren, und Dinge beſchrei-
ben, welche weit über ihren Horizont gehen, und nicht aus
ihnen ſelbſt als Fictionen, Viſionen und Phantasmen her-
vorgehen konnten, wenn dieſe Beſchreibung mit allen an-
dern Geſchichten genau übereinſtimmt, ſo muß wohl dieſer
Uebereinſtimmung ein faktiſcher Beſtand zum Grunde lie-
gen, was die Annahme einer fixen Idee gänzlich zurückweist.

5) Da der Charakter der fixen Idee darin beſteht, daß
ihr Inhalt nicht mit der Wirklichkeit und mit dem feſten
Anſchauungsgeſetz von Raum und Zeit übereinſtimmt, alſo
unwahr iſt, ſo kann die ſtrenge Conſequenz der Verbrechen,
die im Namen des Teufels verübt werden, eben ſo wenig
eine fixe Idee ſeyn, als es die Conſequenz frommer Hand-
lungen im Namen Gottes iſt. Wollte man es ſo weit treiben,
ſo würde man zuletzt Mühe haben, die fixe Idee von der
geſunden Vernunft zu unterſcheiden, und der Menſch würde
ſich ſelbſt zu einer Ironie machen. Daß bey Verbrechen
die fixe Idee einen Cauſal-Zuſammenhang mit der Wirk-
lichkeit habe, hat wohl noch kein Menſch behauptet.

6) Am meiſten aber widerſpricht der Annahme einer fixen
Idee, daß die Depoſitionen der Zeugen mit den in beyden
Protokollen eingeſtandenen Vergehen genau übereinſtimmten.
Denn wir müßten im andern Falle annehmen, daß die fixe

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[178/0192] näres des menſchlichen Herzens ſeyn, was ihrer Natur wi- derſpricht, da ſie nie einen allgemeinen Charakter annimmt. 2) Dieſe Perſonen läugnen, wie aus den Protokollen er- hellt, anfangs ſehr hartnäckig, geſtehen, widerrufen und geſtehen wieder. Dieß iſt gegen die Natur einer fixen Idee, die eben, weil ſie fix iſt, ſich getreu bleibt. 3) Die Angaben harmoniren mit den Thatſachen, und dieß unter Umſtänden, wo das verübte Uebel einer blos natürlichen Urſache und nicht dem Zauber zugeſchrieben wird. Dieß verträgt ſich nicht mit der Beſchaffenheit einer fixen Idee. 4) Wenn in der Jugend verführte Kinder unbefangen erzählen, was ſie ſahen und erfuhren, und Dinge beſchrei- ben, welche weit über ihren Horizont gehen, und nicht aus ihnen ſelbſt als Fictionen, Viſionen und Phantasmen her- vorgehen konnten, wenn dieſe Beſchreibung mit allen an- dern Geſchichten genau übereinſtimmt, ſo muß wohl dieſer Uebereinſtimmung ein faktiſcher Beſtand zum Grunde lie- gen, was die Annahme einer fixen Idee gänzlich zurückweist. 5) Da der Charakter der fixen Idee darin beſteht, daß ihr Inhalt nicht mit der Wirklichkeit und mit dem feſten Anſchauungsgeſetz von Raum und Zeit übereinſtimmt, alſo unwahr iſt, ſo kann die ſtrenge Conſequenz der Verbrechen, die im Namen des Teufels verübt werden, eben ſo wenig eine fixe Idee ſeyn, als es die Conſequenz frommer Hand- lungen im Namen Gottes iſt. Wollte man es ſo weit treiben, ſo würde man zuletzt Mühe haben, die fixe Idee von der geſunden Vernunft zu unterſcheiden, und der Menſch würde ſich ſelbſt zu einer Ironie machen. Daß bey Verbrechen die fixe Idee einen Cauſal-Zuſammenhang mit der Wirk- lichkeit habe, hat wohl noch kein Menſch behauptet. 6) Am meiſten aber widerſpricht der Annahme einer fixen Idee, daß die Depoſitionen der Zeugen mit den in beyden Protokollen eingeſtandenen Vergehen genau übereinſtimmten. Denn wir müßten im andern Falle annehmen, daß die fixe

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/192>, abgerufen am 25.04.2024.