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Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Die Lilie.

Viel Blumen blühten einst auf einem Grabe,
Hießen sich Röslein, Veilchen, Hiacinthe.
Winter erschien, da giengen all' die Blumen,
Kamen auch nimmer auf den stillen Hügel.
Doch eine Blume, Lilie geheißen,
Griff ein mit starker Wurzel in die Erde,
Jahre vergiengen, und sie stund noch herrlich.
Kam ein Gärtner auf den Grabeshügel
Sah die Schöne, dacht in einen Lustwald
Vom verlass'nen Orte sie zu pflanzen,
Riß sie aus, doch wehe! aus dem Grabe
Riß ein Herz er, das sie fest umschlungen.

Die Lilie.

Viel Blumen bluͤhten einſt auf einem Grabe,
Hießen ſich Roͤslein, Veilchen, Hiacinthe.
Winter erſchien, da giengen all' die Blumen,
Kamen auch nimmer auf den ſtillen Huͤgel.
Doch eine Blume, Lilie geheißen,
Griff ein mit ſtarker Wurzel in die Erde,
Jahre vergiengen, und ſie ſtund noch herrlich.
Kam ein Gaͤrtner auf den Grabeshuͤgel
Sah die Schoͤne, dacht in einen Luſtwald
Vom verlaſſ'nen Orte ſie zu pflanzen,
Riß ſie aus, doch wehe! aus dem Grabe
Riß ein Herz er, das ſie feſt umſchlungen.

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[196/0208] Die Lilie. Viel Blumen bluͤhten einſt auf einem Grabe, Hießen ſich Roͤslein, Veilchen, Hiacinthe. Winter erſchien, da giengen all' die Blumen, Kamen auch nimmer auf den ſtillen Huͤgel. Doch eine Blume, Lilie geheißen, Griff ein mit ſtarker Wurzel in die Erde, Jahre vergiengen, und ſie ſtund noch herrlich. Kam ein Gaͤrtner auf den Grabeshuͤgel Sah die Schoͤne, dacht in einen Luſtwald Vom verlaſſ'nen Orte ſie zu pflanzen, Riß ſie aus, doch wehe! aus dem Grabe Riß ein Herz er, das ſie feſt umſchlungen.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/208>, abgerufen am 29.03.2024.