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Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Die Alte versetzte, daß Hr. Bertrand auch nach ziemlich sicheren Nachrichten, die sie eingezogen, nicht mehr in Frankreich befindlich sei. Sein ehrgeiziges und aufstrebendes Gemüth, sprach sie, gefiel sich in dem Kreis bürgerlicher Thätigkeit nicht; er mischte sich beim Ausbruch der Revolution in die öffentlichen Geschäfte und ging im Jahre 1795 mit einer französischen Gesandtschaft an den türkischen Hof, von wo er meines Wissens bis diesen Augenblick noch nicht zurückgekehrt ist. Der Fremde sagte lächelnd zu Toni, indem er ihre Hand faßte, daß sie ja in diesem Falle ein vornehmes und reiches Mädchen wäre. Er munterte sie auf, diese Vortheile geltend zu machen, und meinte, daß sie Hoffnung hätte, noch einmal an der Hand ihres Vaters in glänzendere Verhältnisse, als in denen sie jetzt lebte, eingeführt zu werden! Schwerlich, versetzte die Alte mit unterdrückter Empfindlichkeit. Herr Bertrand läugnete mir während meiner Schwangerschaft zu Paris, aus Scham vor einer jungen reichen Braut, die er heirathen wollte, die Vaterschaft zu diesem Kinde vor Gericht ab. Ich werde den Eidschwur, den er die Frechheit hatte mir ins Gesicht zu leisten, niemals vergessen, ein Gallenfieber war die Folge davon und bald darauf noch sechzig Peitschenhiebe, die mir Hr. Villeneuve geben ließ, und in deren Folgen ich noch bis auf diesen Tag an der Schwindsucht leide. -- -- Toni, welche den Kopf gedankenvoll auf ihre Hand gelegt hatte, fragte den Fremden, wer er denn wäre, wo er herkäme und wo er hin-

Die Alte versetzte, daß Hr. Bertrand auch nach ziemlich sicheren Nachrichten, die sie eingezogen, nicht mehr in Frankreich befindlich sei. Sein ehrgeiziges und aufstrebendes Gemüth, sprach sie, gefiel sich in dem Kreis bürgerlicher Thätigkeit nicht; er mischte sich beim Ausbruch der Revolution in die öffentlichen Geschäfte und ging im Jahre 1795 mit einer französischen Gesandtschaft an den türkischen Hof, von wo er meines Wissens bis diesen Augenblick noch nicht zurückgekehrt ist. Der Fremde sagte lächelnd zu Toni, indem er ihre Hand faßte, daß sie ja in diesem Falle ein vornehmes und reiches Mädchen wäre. Er munterte sie auf, diese Vortheile geltend zu machen, und meinte, daß sie Hoffnung hätte, noch einmal an der Hand ihres Vaters in glänzendere Verhältnisse, als in denen sie jetzt lebte, eingeführt zu werden! Schwerlich, versetzte die Alte mit unterdrückter Empfindlichkeit. Herr Bertrand läugnete mir während meiner Schwangerschaft zu Paris, aus Scham vor einer jungen reichen Braut, die er heirathen wollte, die Vaterschaft zu diesem Kinde vor Gericht ab. Ich werde den Eidschwur, den er die Frechheit hatte mir ins Gesicht zu leisten, niemals vergessen, ein Gallenfieber war die Folge davon und bald darauf noch sechzig Peitschenhiebe, die mir Hr. Villeneuve geben ließ, und in deren Folgen ich noch bis auf diesen Tag an der Schwindsucht leide. — — Toni, welche den Kopf gedankenvoll auf ihre Hand gelegt hatte, fragte den Fremden, wer er denn wäre, wo er herkäme und wo er hin-

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[0023] Die Alte versetzte, daß Hr. Bertrand auch nach ziemlich sicheren Nachrichten, die sie eingezogen, nicht mehr in Frankreich befindlich sei. Sein ehrgeiziges und aufstrebendes Gemüth, sprach sie, gefiel sich in dem Kreis bürgerlicher Thätigkeit nicht; er mischte sich beim Ausbruch der Revolution in die öffentlichen Geschäfte und ging im Jahre 1795 mit einer französischen Gesandtschaft an den türkischen Hof, von wo er meines Wissens bis diesen Augenblick noch nicht zurückgekehrt ist. Der Fremde sagte lächelnd zu Toni, indem er ihre Hand faßte, daß sie ja in diesem Falle ein vornehmes und reiches Mädchen wäre. Er munterte sie auf, diese Vortheile geltend zu machen, und meinte, daß sie Hoffnung hätte, noch einmal an der Hand ihres Vaters in glänzendere Verhältnisse, als in denen sie jetzt lebte, eingeführt zu werden! Schwerlich, versetzte die Alte mit unterdrückter Empfindlichkeit. Herr Bertrand läugnete mir während meiner Schwangerschaft zu Paris, aus Scham vor einer jungen reichen Braut, die er heirathen wollte, die Vaterschaft zu diesem Kinde vor Gericht ab. Ich werde den Eidschwur, den er die Frechheit hatte mir ins Gesicht zu leisten, niemals vergessen, ein Gallenfieber war die Folge davon und bald darauf noch sechzig Peitschenhiebe, die mir Hr. Villeneuve geben ließ, und in deren Folgen ich noch bis auf diesen Tag an der Schwindsucht leide. — — Toni, welche den Kopf gedankenvoll auf ihre Hand gelegt hatte, fragte den Fremden, wer er denn wäre, wo er herkäme und wo er hin-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:20:21Z)

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Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/23>, abgerufen am 28.03.2024.