Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

unter Liebkosungen und Zärtlichkeiten in ihrem Bette zugebracht, als sie sich plötzlich mit dem Ausdruck wilder und kalter Wuth darin erhob und sprach: eine Pestkranke, die den Tod in der Brust trägt, hast du geküßt ; geh und gieb das gelbe Fieber allen Denen, die dir gleichen! -- Der Offizier, während die Alte mit lauten Worten ihren Abscheu hierüber zu erkennen gab, fragte Toni: ob sie wohl einer solchen That fähig wäre? Nein! sagte Toni, indem sie verwirrt vor sich niedersah. Der Fremde, indem er das Tuch auf den Tisch legte, versetzte, daß nach dem Gefühle seiner Seele keine Tyrannei, die die Weißen je verübt, einen Verrath, so niederträchtig und abscheulich, rechtfertigen könnte. Die Rache des Himmels, meinte er, indem er sich mit einem leidenschaftlichen Ausdruck erhob, würde dadurch entwaffnet; die Engel selbst, dadurch empört, stellten sich auf Seiten Derer, die Unrecht hätten und nähmen zur Aufrechthaltung menschlicher und göttlicher Ordnung ihre Sache! Er trat bei diesen Worten auf einen Augenblick an das Fenster und sah in die Nacht hinaus, die mit stürmischen Wolken über den Mond und die Sterne vorüberzog; und da es ihm schien, als ob Mutter und Tochter einander ansähen, obschon er auf keine Weise merkte, daß sie sich Winke zugeworfen hätten, so übernahm ihn ein widerwärtiges und verdrießliches Gefühl; er wandte sich und bat, daß man ihm das Zimmer anweisen möchte, wo er schlafen könne.

Die Mutter bemerkte, indem sie nach der Wand-

unter Liebkosungen und Zärtlichkeiten in ihrem Bette zugebracht, als sie sich plötzlich mit dem Ausdruck wilder und kalter Wuth darin erhob und sprach: eine Pestkranke, die den Tod in der Brust trägt, hast du geküßt ; geh und gieb das gelbe Fieber allen Denen, die dir gleichen! — Der Offizier, während die Alte mit lauten Worten ihren Abscheu hierüber zu erkennen gab, fragte Toni: ob sie wohl einer solchen That fähig wäre? Nein! sagte Toni, indem sie verwirrt vor sich niedersah. Der Fremde, indem er das Tuch auf den Tisch legte, versetzte, daß nach dem Gefühle seiner Seele keine Tyrannei, die die Weißen je verübt, einen Verrath, so niederträchtig und abscheulich, rechtfertigen könnte. Die Rache des Himmels, meinte er, indem er sich mit einem leidenschaftlichen Ausdruck erhob, würde dadurch entwaffnet; die Engel selbst, dadurch empört, stellten sich auf Seiten Derer, die Unrecht hätten und nähmen zur Aufrechthaltung menschlicher und göttlicher Ordnung ihre Sache! Er trat bei diesen Worten auf einen Augenblick an das Fenster und sah in die Nacht hinaus, die mit stürmischen Wolken über den Mond und die Sterne vorüberzog; und da es ihm schien, als ob Mutter und Tochter einander ansähen, obschon er auf keine Weise merkte, daß sie sich Winke zugeworfen hätten, so übernahm ihn ein widerwärtiges und verdrießliches Gefühl; er wandte sich und bat, daß man ihm das Zimmer anweisen möchte, wo er schlafen könne.

Die Mutter bemerkte, indem sie nach der Wand-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026"/>
unter Liebkosungen und Zärtlichkeiten in ihrem Bette zugebracht, als sie                sich plötzlich mit dem Ausdruck wilder und kalter Wuth darin erhob und sprach: eine                Pestkranke, die den Tod in der Brust trägt, hast du geküßt ; geh und gieb das gelbe                Fieber allen Denen, die dir gleichen! &#x2014; Der Offizier, während die Alte mit lauten                Worten ihren Abscheu hierüber zu erkennen gab, fragte Toni: ob sie wohl einer solchen                That fähig wäre? Nein! sagte Toni, indem sie verwirrt vor sich niedersah. Der Fremde,                indem er das Tuch auf den Tisch legte, versetzte, daß nach dem Gefühle seiner Seele                keine Tyrannei, die die Weißen je verübt, einen Verrath, so niederträchtig und                abscheulich, rechtfertigen könnte. Die Rache des Himmels, meinte er, indem er sich                mit einem leidenschaftlichen Ausdruck erhob, würde dadurch entwaffnet; die Engel                selbst, dadurch empört, stellten sich auf Seiten Derer, die Unrecht hätten und nähmen                zur Aufrechthaltung menschlicher und göttlicher Ordnung ihre Sache! Er trat bei                diesen Worten auf einen Augenblick an das Fenster und sah in die Nacht hinaus, die                mit stürmischen Wolken über den Mond und die Sterne vorüberzog; und da es ihm schien,                als ob Mutter und Tochter einander ansähen, obschon er auf keine Weise merkte, daß                sie sich Winke zugeworfen hätten, so übernahm ihn ein widerwärtiges und                verdrießliches Gefühl; er wandte sich und bat, daß man ihm das Zimmer anweisen                möchte, wo er schlafen könne.</p><lb/>
        <p>Die Mutter bemerkte, indem sie nach der Wand-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] unter Liebkosungen und Zärtlichkeiten in ihrem Bette zugebracht, als sie sich plötzlich mit dem Ausdruck wilder und kalter Wuth darin erhob und sprach: eine Pestkranke, die den Tod in der Brust trägt, hast du geküßt ; geh und gieb das gelbe Fieber allen Denen, die dir gleichen! — Der Offizier, während die Alte mit lauten Worten ihren Abscheu hierüber zu erkennen gab, fragte Toni: ob sie wohl einer solchen That fähig wäre? Nein! sagte Toni, indem sie verwirrt vor sich niedersah. Der Fremde, indem er das Tuch auf den Tisch legte, versetzte, daß nach dem Gefühle seiner Seele keine Tyrannei, die die Weißen je verübt, einen Verrath, so niederträchtig und abscheulich, rechtfertigen könnte. Die Rache des Himmels, meinte er, indem er sich mit einem leidenschaftlichen Ausdruck erhob, würde dadurch entwaffnet; die Engel selbst, dadurch empört, stellten sich auf Seiten Derer, die Unrecht hätten und nähmen zur Aufrechthaltung menschlicher und göttlicher Ordnung ihre Sache! Er trat bei diesen Worten auf einen Augenblick an das Fenster und sah in die Nacht hinaus, die mit stürmischen Wolken über den Mond und die Sterne vorüberzog; und da es ihm schien, als ob Mutter und Tochter einander ansähen, obschon er auf keine Weise merkte, daß sie sich Winke zugeworfen hätten, so übernahm ihn ein widerwärtiges und verdrießliches Gefühl; er wandte sich und bat, daß man ihm das Zimmer anweisen möchte, wo er schlafen könne. Die Mutter bemerkte, indem sie nach der Wand-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:20:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/26
Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/26>, abgerufen am 19.04.2024.