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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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sammen, auch murmelte es vernehmlicher von
den fernen Bergen herüber, wie wenn das
Geisterreich sich ernstlich ins Spiel zu mischen
gedächte.

Auf der Hausflur war der Todte, der
üblichen Sitte gemäß, offen ausgestellt, um
ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen,
weil der Pfaff, teuflischen Andenkens, die
Weihe verweigert hatte. Der Verstorbene
lächelte in seinem festen Schlafe darüber, oder
über seinen eignen thörichten Wahn, den das
Jenseits widerlegt hatte, und sein Lächeln
glänzte wie ein ferner Wiederschein vom Leben
über die starren vom Tode verfestigten Züge.

Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle,
schaute man in eine schwarz behängte Nische;
dort knieten unbeweglich die drei Knaben und
die blasse Mutter vor einem Altare -- die
Gruppe der Niobe mit ihren Kindern -- in
stummes angstvolles Gebet versunken, um

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ſammen, auch murmelte es vernehmlicher von
den fernen Bergen heruͤber, wie wenn das
Geiſterreich ſich ernſtlich ins Spiel zu miſchen
gedaͤchte.

Auf der Hausflur war der Todte, der
uͤblichen Sitte gemaͤß, offen ausgeſtellt, um
ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen,
weil der Pfaff, teufliſchen Andenkens, die
Weihe verweigert hatte. Der Verſtorbene
laͤchelte in ſeinem feſten Schlafe daruͤber, oder
uͤber ſeinen eignen thoͤrichten Wahn, den das
Jenſeits widerlegt hatte, und ſein Laͤcheln
glaͤnzte wie ein ferner Wiederſchein vom Leben
uͤber die ſtarren vom Tode verfeſtigten Zuͤge.

Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle,
ſchaute man in eine ſchwarz behaͤngte Niſche;
dort knieten unbeweglich die drei Knaben und
die blaſſe Mutter vor einem Altare — die
Gruppe der Niobe mit ihren Kindern — in
ſtummes angſtvolles Gebet verſunken, um

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[17/0019] ſammen, auch murmelte es vernehmlicher von den fernen Bergen heruͤber, wie wenn das Geiſterreich ſich ernſtlich ins Spiel zu miſchen gedaͤchte. Auf der Hausflur war der Todte, der uͤblichen Sitte gemaͤß, offen ausgeſtellt, um ihn her brannten wenige ungeweihte Kerzen, weil der Pfaff, teufliſchen Andenkens, die Weihe verweigert hatte. Der Verſtorbene laͤchelte in ſeinem feſten Schlafe daruͤber, oder uͤber ſeinen eignen thoͤrichten Wahn, den das Jenſeits widerlegt hatte, und ſein Laͤcheln glaͤnzte wie ein ferner Wiederſchein vom Leben uͤber die ſtarren vom Tode verfeſtigten Zuͤge. Durch eine lange, wenig erleuchtete Halle, ſchaute man in eine ſchwarz behaͤngte Niſche; dort knieten unbeweglich die drei Knaben und die blaſſe Mutter vor einem Altare — die Gruppe der Niobe mit ihren Kindern — in ſtummes angſtvolles Gebet verſunken, um 2

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/19>, abgerufen am 25.04.2024.