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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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sich plözlich eine weibliche und eine männliche
Gestalt dicht vor mir und lehnten sich fast an
mich, weil sie mich für den Blind- und Taub-
stummen von Stein hielten.

Der Mann ließ es sich recht angelegen sein
im rhetorischen Bombast, und sprach in einem
Athem von Liebe und Treue; das Frauenbild
dagegen zweifelte gläubig, und machte viel
künstlichen Händeringens. Jezt berief sich der
Mann keklich auf mich, und schwur er stehe
unwandelbar und unbeweglich wie das Stand-
bild. Da wachte der Satyr in mir auf, und
als jener die Hand gleichsam zur Betheuerung
auf meinen Mantel legte, schüttelte ich mich
boshaft ein wenig, worüber beide erstaunten;
doch der Liebhaber nahms auf die leichte Ach-
sel, und meinte der Quader unter dem Stand-
bilde habe sich gesenkt, wodurch es das Gleich-
gewicht in etwas verlohren.

Er verschwur jezt nacheinander in zehn Ka-
raktern aus den neuesten Dramen und Tragö-

ſich ploͤzlich eine weibliche und eine maͤnnliche
Geſtalt dicht vor mir und lehnten ſich faſt an
mich, weil ſie mich fuͤr den Blind- und Taub-
ſtummen von Stein hielten.

Der Mann ließ es ſich recht angelegen ſein
im rhetoriſchen Bombaſt, und ſprach in einem
Athem von Liebe und Treue; das Frauenbild
dagegen zweifelte glaͤubig, und machte viel
kuͤnſtlichen Haͤnderingens. Jezt berief ſich der
Mann keklich auf mich, und ſchwur er ſtehe
unwandelbar und unbeweglich wie das Stand-
bild. Da wachte der Satyr in mir auf, und
als jener die Hand gleichſam zur Betheuerung
auf meinen Mantel legte, ſchuͤttelte ich mich
boshaft ein wenig, woruͤber beide erſtaunten;
doch der Liebhaber nahms auf die leichte Ach-
ſel, und meinte der Quader unter dem Stand-
bilde habe ſich geſenkt, wodurch es das Gleich-
gewicht in etwas verlohren.

Er verſchwur jezt nacheinander in zehn Ka-
raktern aus den neueſten Dramen und Tragoͤ-

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[29/0031] ſich ploͤzlich eine weibliche und eine maͤnnliche Geſtalt dicht vor mir und lehnten ſich faſt an mich, weil ſie mich fuͤr den Blind- und Taub- ſtummen von Stein hielten. Der Mann ließ es ſich recht angelegen ſein im rhetoriſchen Bombaſt, und ſprach in einem Athem von Liebe und Treue; das Frauenbild dagegen zweifelte glaͤubig, und machte viel kuͤnſtlichen Haͤnderingens. Jezt berief ſich der Mann keklich auf mich, und ſchwur er ſtehe unwandelbar und unbeweglich wie das Stand- bild. Da wachte der Satyr in mir auf, und als jener die Hand gleichſam zur Betheuerung auf meinen Mantel legte, ſchuͤttelte ich mich boshaft ein wenig, woruͤber beide erſtaunten; doch der Liebhaber nahms auf die leichte Ach- ſel, und meinte der Quader unter dem Stand- bilde habe ſich geſenkt, wodurch es das Gleich- gewicht in etwas verlohren. Er verſchwur jezt nacheinander in zehn Ka- raktern aus den neueſten Dramen und Tragoͤ-

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/31>, abgerufen am 25.04.2024.