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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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nimt! Man vergesse nicht, daß Spott nicht bes¬
sert; daß unsre hier auf Erden noch nicht ent¬
wickelte Vernunft über so wichtige Gegenstände
leicht irren kann; daß ein mangelhaftes Sy¬
stem, auf welchem aber der Grund einer guten
Moral liegt, nicht so leicht umzureissen ist,
ohne zugleich das Gebäude selbst über den Hau¬
fen zu werfen, und endlich, daß solche Gegen¬
stände überhaupt gar nicht von der Art sind,
daß man sie in Gesellschaften abhandeln könne.

Doch dünkt mich, man vermeidet heut zu
Tage oft zu vorsetzlich alle Gelegenheit über
Religion zu reden. Einige Leute schämen sich,
Wärme für Gottes-Verehrung zu zeigen, aus
Furcht, für nicht aufgeklärt genug gehalten zu
werden, und Andre affectiren religiose Em¬
pfindungen, scheuen sich, auch nur im minde¬
sten gegen Schwärmerey zu reden, um sich
bey den Andächtlern in Gunst zu setzen. Er¬
steres ist Menschenfurcht und Letzteres Heuche¬
ley; beydes aber eines redlichen Mannes gleich
unwerth.

25.

Wenn Du von cörperlichen, geistigen, mo¬
ralischen oder andern Gebrechen redest, oder

An¬

nimt! Man vergeſſe nicht, daß Spott nicht beſ¬
ſert; daß unſre hier auf Erden noch nicht ent¬
wickelte Vernunft uͤber ſo wichtige Gegenſtaͤnde
leicht irren kann; daß ein mangelhaftes Sy¬
ſtem, auf welchem aber der Grund einer guten
Moral liegt, nicht ſo leicht umzureiſſen iſt,
ohne zugleich das Gebaͤude ſelbſt uͤber den Hau¬
fen zu werfen, und endlich, daß ſolche Gegen¬
ſtaͤnde uͤberhaupt gar nicht von der Art ſind,
daß man ſie in Geſellſchaften abhandeln koͤnne.

Doch duͤnkt mich, man vermeidet heut zu
Tage oft zu vorſetzlich alle Gelegenheit uͤber
Religion zu reden. Einige Leute ſchaͤmen ſich,
Waͤrme fuͤr Gottes-Verehrung zu zeigen, aus
Furcht, fuͤr nicht aufgeklaͤrt genug gehalten zu
werden, und Andre affectiren religioſe Em¬
pfindungen, ſcheuen ſich, auch nur im minde¬
ſten gegen Schwaͤrmerey zu reden, um ſich
bey den Andaͤchtlern in Gunſt zu ſetzen. Er¬
ſteres iſt Menſchenfurcht und Letzteres Heuche¬
ley; beydes aber eines redlichen Mannes gleich
unwerth.

25.

Wenn Du von coͤrperlichen, geiſtigen, mo¬
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[72/0102] nimt! Man vergeſſe nicht, daß Spott nicht beſ¬ ſert; daß unſre hier auf Erden noch nicht ent¬ wickelte Vernunft uͤber ſo wichtige Gegenſtaͤnde leicht irren kann; daß ein mangelhaftes Sy¬ ſtem, auf welchem aber der Grund einer guten Moral liegt, nicht ſo leicht umzureiſſen iſt, ohne zugleich das Gebaͤude ſelbſt uͤber den Hau¬ fen zu werfen, und endlich, daß ſolche Gegen¬ ſtaͤnde uͤberhaupt gar nicht von der Art ſind, daß man ſie in Geſellſchaften abhandeln koͤnne. Doch duͤnkt mich, man vermeidet heut zu Tage oft zu vorſetzlich alle Gelegenheit uͤber Religion zu reden. Einige Leute ſchaͤmen ſich, Waͤrme fuͤr Gottes-Verehrung zu zeigen, aus Furcht, fuͤr nicht aufgeklaͤrt genug gehalten zu werden, und Andre affectiren religioſe Em¬ pfindungen, ſcheuen ſich, auch nur im minde¬ ſten gegen Schwaͤrmerey zu reden, um ſich bey den Andaͤchtlern in Gunſt zu ſetzen. Er¬ ſteres iſt Menſchenfurcht und Letzteres Heuche¬ ley; beydes aber eines redlichen Mannes gleich unwerth. 25. Wenn Du von coͤrperlichen, geiſtigen, mo¬ raliſchen oder andern Gebrechen redeſt, oder An¬

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/102>, abgerufen am 28.03.2024.