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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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Lesen zu lernen, nicht mit den Buchstaben und
Silben bekannt zu seyn brauche, und daß man,
um alle Menschen zu lieben, keinen Einzelnen
lieben dürfe! Jahrhundert der Universal-Arze¬
neyen, der Philalethen, Philantropen, Al¬
chimisten und Cosmopoliten! wohin wirst Du
uns noch führen? Ich sehe im Geiste allgemeine
Aufklärung sich über alle Stände verbreiten;
Ich sehe den Bauer seinen Pflug müßig stehn
lassen, um dem Fürsten eine Vorlesung zu hal¬
ten über Gleichheit der Stände und über die
Schuldigkeit, die Last des Lebens gemeinschaft¬
lich zu tragen; Ich sehe, wie Jeder die ihm
unbequemen Vorurtheile wegraisonniert, wie
Gesetze und bürgerliche Einrichtungen der
Willkühr weichen, wie der Klügere und Stär¬
kere sein natürliches Herrscher-Recht reclamiert,
und seinen Beruf, für das Beste der ganzen
Welt zu sorgen, auf Unkosten der Schwächern
gelten macht, wie Eigenthum, Staats-Verfas¬
sungen und Grenzlinien aufhören, wie Jeder
sich selbst regiert, und sich ein System zu Be¬
friedigung seiner Triebe erfindet. -- O gebe¬
nedeyetes, goldenes Zeitalter! dann machen
wir Alle nur Eine Familie aus; dann drük¬

ken

Leſen zu lernen, nicht mit den Buchſtaben und
Silben bekannt zu ſeyn brauche, und daß man,
um alle Menſchen zu lieben, keinen Einzelnen
lieben duͤrfe! Jahrhundert der Univerſal-Arze¬
neyen, der Philalethen, Philantropen, Al¬
chimiſten und Cosmopoliten! wohin wirſt Du
uns noch fuͤhren? Ich ſehe im Geiſte allgemeine
Aufklaͤrung ſich uͤber alle Staͤnde verbreiten;
Ich ſehe den Bauer ſeinen Pflug muͤßig ſtehn
laſſen, um dem Fuͤrſten eine Vorleſung zu hal¬
ten uͤber Gleichheit der Staͤnde und uͤber die
Schuldigkeit, die Laſt des Lebens gemeinſchaft¬
lich zu tragen; Ich ſehe, wie Jeder die ihm
unbequemen Vorurtheile wegraiſonniert, wie
Geſetze und buͤrgerliche Einrichtungen der
Willkuͤhr weichen, wie der Kluͤgere und Staͤr¬
kere ſein natuͤrliches Herrſcher-Recht reclamiert,
und ſeinen Beruf, fuͤr das Beſte der ganzen
Welt zu ſorgen, auf Unkoſten der Schwaͤchern
gelten macht, wie Eigenthum, Staats-Verfaſ¬
ſungen und Grenzlinien aufhoͤren, wie Jeder
ſich ſelbſt regiert, und ſich ein Syſtem zu Be¬
friedigung ſeiner Triebe erfindet. — O gebe¬
nedeyetes, goldenes Zeitalter! dann machen
wir Alle nur Eine Familie aus; dann druͤk¬

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[104/0134] Leſen zu lernen, nicht mit den Buchſtaben und Silben bekannt zu ſeyn brauche, und daß man, um alle Menſchen zu lieben, keinen Einzelnen lieben duͤrfe! Jahrhundert der Univerſal-Arze¬ neyen, der Philalethen, Philantropen, Al¬ chimiſten und Cosmopoliten! wohin wirſt Du uns noch fuͤhren? Ich ſehe im Geiſte allgemeine Aufklaͤrung ſich uͤber alle Staͤnde verbreiten; Ich ſehe den Bauer ſeinen Pflug muͤßig ſtehn laſſen, um dem Fuͤrſten eine Vorleſung zu hal¬ ten uͤber Gleichheit der Staͤnde und uͤber die Schuldigkeit, die Laſt des Lebens gemeinſchaft¬ lich zu tragen; Ich ſehe, wie Jeder die ihm unbequemen Vorurtheile wegraiſonniert, wie Geſetze und buͤrgerliche Einrichtungen der Willkuͤhr weichen, wie der Kluͤgere und Staͤr¬ kere ſein natuͤrliches Herrſcher-Recht reclamiert, und ſeinen Beruf, fuͤr das Beſte der ganzen Welt zu ſorgen, auf Unkoſten der Schwaͤchern gelten macht, wie Eigenthum, Staats-Verfaſ¬ ſungen und Grenzlinien aufhoͤren, wie Jeder ſich ſelbſt regiert, und ſich ein Syſtem zu Be¬ friedigung ſeiner Triebe erfindet. — O gebe¬ nedeyetes, goldenes Zeitalter! dann machen wir Alle nur Eine Familie aus; dann druͤk¬ ken

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/134>, abgerufen am 23.04.2024.