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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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und mit gründlicherer Vernunft als ich zu urthei¬
len und zu schreiben! Ich wage das nicht; auch
sind es zwey verschiedene Fragen: aus welchen
Quellen zuerst Weiberliebe zu entspringen pflegt?
und: welche Eigenschaften nachher diese Liebe hat,
wenn einmal die Seele davon ergriffen ist? Das
aber getraue ich mir zu behaupten, ohne einem
von beyden Geschlechtern zu nahe zu treten, daß
wir Männer an Treue und gänzlicher Hingebung
in der Liebe wohl schwerlich die Weiber übertref¬
fen können. Die Geschichte aller Zeiten ist voll
von Beyspielen der Anhänglichkeit, der Ueber¬
windung aller Schwierigkeiten und Verachtung
aller Gefahren, mit welcher ein Weib sich an ih¬
ren Geliebten kettet. Ich kenne kein höheres
Glück auf der Welt, als so innig, so treu geliebt
zu werden. Leichtsinnige Gemüther findet man
unter Männern, wie unter Frauenzimmern;
Hang zur Abwechselung ist dem ganzen Menschen¬
geschlechte eigen; Neue Eindrücke größerer Lie¬
benswürdigkeit, wahrer oder eingebildeter, kön¬
nen die lebhaftesten Empfindungen verdrängen;
aber fast mögte ich sagen, die Fälle der Untreue
wären häufiger bey Männern, als bey Weibern,
würden nur nicht so bekannt, machten weniger

Auf¬

und mit gruͤndlicherer Vernunft als ich zu urthei¬
len und zu ſchreiben! Ich wage das nicht; auch
ſind es zwey verſchiedene Fragen: aus welchen
Quellen zuerſt Weiberliebe zu entſpringen pflegt?
und: welche Eigenſchaften nachher dieſe Liebe hat,
wenn einmal die Seele davon ergriffen iſt? Das
aber getraue ich mir zu behaupten, ohne einem
von beyden Geſchlechtern zu nahe zu treten, daß
wir Maͤnner an Treue und gaͤnzlicher Hingebung
in der Liebe wohl ſchwerlich die Weiber uͤbertref¬
fen koͤnnen. Die Geſchichte aller Zeiten iſt voll
von Beyſpielen der Anhaͤnglichkeit, der Ueber¬
windung aller Schwierigkeiten und Verachtung
aller Gefahren, mit welcher ein Weib ſich an ih¬
ren Geliebten kettet. Ich kenne kein hoͤheres
Gluͤck auf der Welt, als ſo innig, ſo treu geliebt
zu werden. Leichtſinnige Gemuͤther findet man
unter Maͤnnern, wie unter Frauenzimmern;
Hang zur Abwechſelung iſt dem ganzen Menſchen¬
geſchlechte eigen; Neue Eindruͤcke groͤßerer Lie¬
benswuͤrdigkeit, wahrer oder eingebildeter, koͤn¬
nen die lebhafteſten Empfindungen verdraͤngen;
aber faſt moͤgte ich ſagen, die Faͤlle der Untreue
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[170/0200] und mit gruͤndlicherer Vernunft als ich zu urthei¬ len und zu ſchreiben! Ich wage das nicht; auch ſind es zwey verſchiedene Fragen: aus welchen Quellen zuerſt Weiberliebe zu entſpringen pflegt? und: welche Eigenſchaften nachher dieſe Liebe hat, wenn einmal die Seele davon ergriffen iſt? Das aber getraue ich mir zu behaupten, ohne einem von beyden Geſchlechtern zu nahe zu treten, daß wir Maͤnner an Treue und gaͤnzlicher Hingebung in der Liebe wohl ſchwerlich die Weiber uͤbertref¬ fen koͤnnen. Die Geſchichte aller Zeiten iſt voll von Beyſpielen der Anhaͤnglichkeit, der Ueber¬ windung aller Schwierigkeiten und Verachtung aller Gefahren, mit welcher ein Weib ſich an ih¬ ren Geliebten kettet. Ich kenne kein hoͤheres Gluͤck auf der Welt, als ſo innig, ſo treu geliebt zu werden. Leichtſinnige Gemuͤther findet man unter Maͤnnern, wie unter Frauenzimmern; Hang zur Abwechſelung iſt dem ganzen Menſchen¬ geſchlechte eigen; Neue Eindruͤcke groͤßerer Lie¬ benswuͤrdigkeit, wahrer oder eingebildeter, koͤn¬ nen die lebhafteſten Empfindungen verdraͤngen; aber faſt moͤgte ich ſagen, die Faͤlle der Untreue waͤren haͤufiger bey Maͤnnern, als bey Weibern, wuͤrden nur nicht ſo bekannt, machten weniger Auf¬

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/200>, abgerufen am 29.03.2024.