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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

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Beneide nicht den Dir vorgezogenen Freund!
Hänge fest an ihm, ohne ihm lästig zu werden!
Fordre nicht mehr von ihm, als Du selbst lei¬
sten würdest, ja! fordre nicht einmal so viel,
wenn Dein Freund nicht in allen Stücken mit
Dir einerley lebhaftes Temperament, einerley
Fähigkeiten, einerley Grad von Empfindniß
hat! Ergreife warm und eifrig die Parthey
Deines Freundes, aber nicht auf Unkosten der
Gerechtigkeit und Redlichkeit! Du sollst nicht
seinetwegen blind gegen die Tugenden Andrer
seyn, noch, wenn Du die Macht in Händen
hast, eines würdigen, geschickten Mannes
Glück zu bauen, Diesen dem weniger fähigen
Freunde nachsetzen. Du sollst nicht seine Ue¬
bereilungen vertheidigen, seine Leidenschaften
als Tugenden erheben, in kleinen Zwistigkeiten
mit andern Menschen, wenn er Unrecht hat,
vorsetzlicher Weise die Parthey des Beleidigers
verstärken; nicht Dich mit in sein Verderben
stürzen, wenn ihm dadurch nicht geholfen wird,
noch vielleicht gar durch unkluge Vertheidigung
seine Feinde mehr erbittern, und Dich und die
Deinigen in das Verderben stürzen. Aber
retten sollst Du seinen Ruf, wenn er unschuldig

ver¬

Beneide nicht den Dir vorgezogenen Freund!
Haͤnge feſt an ihm, ohne ihm laͤſtig zu werden!
Fordre nicht mehr von ihm, als Du ſelbſt lei¬
ſten wuͤrdeſt, ja! fordre nicht einmal ſo viel,
wenn Dein Freund nicht in allen Stuͤcken mit
Dir einerley lebhaftes Temperament, einerley
Faͤhigkeiten, einerley Grad von Empfindniß
hat! Ergreife warm und eifrig die Parthey
Deines Freundes, aber nicht auf Unkoſten der
Gerechtigkeit und Redlichkeit! Du ſollſt nicht
ſeinetwegen blind gegen die Tugenden Andrer
ſeyn, noch, wenn Du die Macht in Haͤnden
haſt, eines wuͤrdigen, geſchickten Mannes
Gluͤck zu bauen, Dieſen dem weniger faͤhigen
Freunde nachſetzen. Du ſollſt nicht ſeine Ue¬
bereilungen vertheidigen, ſeine Leidenſchaften
als Tugenden erheben, in kleinen Zwiſtigkeiten
mit andern Menſchen, wenn er Unrecht hat,
vorſetzlicher Weiſe die Parthey des Beleidigers
verſtaͤrken; nicht Dich mit in ſein Verderben
ſtuͤrzen, wenn ihm dadurch nicht geholfen wird,
noch vielleicht gar durch unkluge Vertheidigung
ſeine Feinde mehr erbittern, und Dich und die
Deinigen in das Verderben ſtuͤrzen. Aber
retten ſollſt Du ſeinen Ruf, wenn er unſchuldig

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[238/0268] Beneide nicht den Dir vorgezogenen Freund! Haͤnge feſt an ihm, ohne ihm laͤſtig zu werden! Fordre nicht mehr von ihm, als Du ſelbſt lei¬ ſten wuͤrdeſt, ja! fordre nicht einmal ſo viel, wenn Dein Freund nicht in allen Stuͤcken mit Dir einerley lebhaftes Temperament, einerley Faͤhigkeiten, einerley Grad von Empfindniß hat! Ergreife warm und eifrig die Parthey Deines Freundes, aber nicht auf Unkoſten der Gerechtigkeit und Redlichkeit! Du ſollſt nicht ſeinetwegen blind gegen die Tugenden Andrer ſeyn, noch, wenn Du die Macht in Haͤnden haſt, eines wuͤrdigen, geſchickten Mannes Gluͤck zu bauen, Dieſen dem weniger faͤhigen Freunde nachſetzen. Du ſollſt nicht ſeine Ue¬ bereilungen vertheidigen, ſeine Leidenſchaften als Tugenden erheben, in kleinen Zwiſtigkeiten mit andern Menſchen, wenn er Unrecht hat, vorſetzlicher Weiſe die Parthey des Beleidigers verſtaͤrken; nicht Dich mit in ſein Verderben ſtuͤrzen, wenn ihm dadurch nicht geholfen wird, noch vielleicht gar durch unkluge Vertheidigung ſeine Feinde mehr erbittern, und Dich und die Deinigen in das Verderben ſtuͤrzen. Aber retten ſollſt Du ſeinen Ruf, wenn er unſchuldig ver¬

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/268>, abgerufen am 24.04.2024.