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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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stossen? Er kam ungerufen, aber nicht unbereitet.
Der verlorne Sohn ward ja wieder aufgenommen,
konnte ja wieder in die Arme seines Vaters ei-
len, und er der droben thront, sollte weniger
Erbarmen, weniger Mitleiden gegen ein Ge-
schöpf haben, dessen Glükseligkeit ihm so nahe
liegt? Weine also immer, fühlende Seele, an
seiner Urne, pflanze Rosen und Mirten auf den
Hügel der zwei Liebende dekt, die einander so
treu, so zärtlich geliebt, aber verachte den Vater,
der ihr Mörder ward. Noch lebt er, aber ein
elendes Leben, sich selbst zur Qual, ein nagen-
des Gewissen im Jnnern, von jedem Rechtschaf-
fenen verachtet, schleicht er einher, und sieht, wie
lachende Erben seinen Tod wünschen, um das
zu verschwenden, was er aufgehäufet hat.

Schon wieder ein trauriges Beispiel, was
Stolz und Ehrgeiz würken, schon wieder ein
Opfer von Aeltern geschlachtet! Fühlt ihn, ich
bitte euch, deutsche Väter und Mütter,
fühlt den herzerschütternden Gedanken, Mörder
eurer Kinder zu sein, und wenn ihr das nicht
fühlt, o, so durchdonnere euch die Stimme der
beleidigten Menschheit, und rufe Rache wider euch,
Rache vom Vergelter des Guten und Bösen!



ſtoſſen? Er kam ungerufen, aber nicht unbereitet.
Der verlorne Sohn ward ja wieder aufgenommen,
konnte ja wieder in die Arme ſeines Vaters ei-
len, und er der droben thront, ſollte weniger
Erbarmen, weniger Mitleiden gegen ein Ge-
ſchoͤpf haben, deſſen Gluͤkſeligkeit ihm ſo nahe
liegt? Weine alſo immer, fuͤhlende Seele, an
ſeiner Urne, pflanze Roſen und Mirten auf den
Huͤgel der zwei Liebende dekt, die einander ſo
treu, ſo zaͤrtlich geliebt, aber verachte den Vater,
der ihr Moͤrder ward. Noch lebt er, aber ein
elendes Leben, ſich ſelbſt zur Qual, ein nagen-
des Gewiſſen im Jnnern, von jedem Rechtſchaf-
fenen verachtet, ſchleicht er einher, und ſieht, wie
lachende Erben ſeinen Tod wuͤnſchen, um das
zu verſchwenden, was er aufgehaͤufet hat.

Schon wieder ein trauriges Beiſpiel, was
Stolz und Ehrgeiz wuͤrken, ſchon wieder ein
Opfer von Aeltern geſchlachtet! Fuͤhlt ihn, ich
bitte euch, deutſche Vaͤter und Muͤtter,
fuͤhlt den herzerſchuͤtternden Gedanken, Moͤrder
eurer Kinder zu ſein, und wenn ihr das nicht
fuͤhlt, o, ſo durchdonnere euch die Stimme der
beleidigten Menſchheit, und rufe Rache wider euch,
Rache vom Vergelter des Guten und Boͤſen!



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[125/0133] ſtoſſen? Er kam ungerufen, aber nicht unbereitet. Der verlorne Sohn ward ja wieder aufgenommen, konnte ja wieder in die Arme ſeines Vaters ei- len, und er der droben thront, ſollte weniger Erbarmen, weniger Mitleiden gegen ein Ge- ſchoͤpf haben, deſſen Gluͤkſeligkeit ihm ſo nahe liegt? Weine alſo immer, fuͤhlende Seele, an ſeiner Urne, pflanze Roſen und Mirten auf den Huͤgel der zwei Liebende dekt, die einander ſo treu, ſo zaͤrtlich geliebt, aber verachte den Vater, der ihr Moͤrder ward. Noch lebt er, aber ein elendes Leben, ſich ſelbſt zur Qual, ein nagen- des Gewiſſen im Jnnern, von jedem Rechtſchaf- fenen verachtet, ſchleicht er einher, und ſieht, wie lachende Erben ſeinen Tod wuͤnſchen, um das zu verſchwenden, was er aufgehaͤufet hat. Schon wieder ein trauriges Beiſpiel, was Stolz und Ehrgeiz wuͤrken, ſchon wieder ein Opfer von Aeltern geſchlachtet! Fuͤhlt ihn, ich bitte euch, deutſche Vaͤter und Muͤtter, fuͤhlt den herzerſchuͤtternden Gedanken, Moͤrder eurer Kinder zu ſein, und wenn ihr das nicht fuͤhlt, o, ſo durchdonnere euch die Stimme der beleidigten Menſchheit, und rufe Rache wider euch, Rache vom Vergelter des Guten und Boͤſen!

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/133>, abgerufen am 24.04.2024.