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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Vierte Vorlesung.

Meine Herren! Die Betrachtungen der vorigen Stunde habenNeueste
Blättertheorien.

ergeben, wie die neuere Entwicklungsgeschichte in allgemeinen hi-
stologischen Fragen in Folge der vereinten Leistungen vieler For-
scher in einem weiten Gebiete ihren mächtigen Einfluss entfaltete,
und für sich selbst eine gesicherte Basis errang. Man sollte nun
denken, dass in demselben Maasse auch der Frage nach den Primitiv-
organen des Keimes eine allgemeine Berücksichtigung zu Theil ward.
Dem ist jedoch nicht so und blieb die Blättertheorie Pander's und
v. Baer's so sehr auf die eigenen Kreise der Embryologie beschränkt,
dass eigentlich nur zwei Autoren, nämlich Reichert und Remak an
ihrer weiteren Ausbildung einen nennenswerthen Antheil nahmen.
Reichert verfolgte die Anlage des Embryo beim Frosche und Hühn-Reichert.
chen und fand bei denselben nicht unerhebliche Verschiedenheiten
(Entwicklungsleben im Wirbelthierreich 1840 und Beiträge zur
Kenntniss des heutigen Zustandes der Entwicklungsgeschichte, Ber-
lin 1843). Beim Frosch bildet sich aus dem gefurchten Dotter zu
äusserst die sogenannte Umhüllungshaut, eine vergängliche
epithelartige Hülle. Dann entstehen der Reihe nach, indem eine
Lage Furchungskugeln nach der andern weiter sich organisirt, 1) die
blattförmige Anlage des Centralnervensystems und zu beiden Seiten
davon die Anlagen des Hautsystems, 2) die Chorda mit der blatt-
förmigen paarigen Anlage des Wirbelsystems, 3) das Blutsystem mit
dem Herz, den grossen Gefässen, der Leber, dem Pancreas und den
Urnieren, endlich 4) die Anlage des Darmsystems für alle Häute des
Darmkanals. Beim Hühnchen lässt Reichert aus dem Keime oder
der Keimhaut des bebrüteten Eies, von der er übrigens nur ein
oberes Blatt kannte, ebenfalls eine vergängliche Umhüllungshaut

Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 2
Vierte Vorlesung.

Meine Herren! Die Betrachtungen der vorigen Stunde habenNeueste
Blättertheorien.

ergeben, wie die neuere Entwicklungsgeschichte in allgemeinen hi-
stologischen Fragen in Folge der vereinten Leistungen vieler For-
scher in einem weiten Gebiete ihren mächtigen Einfluss entfaltete,
und für sich selbst eine gesicherte Basis errang. Man sollte nun
denken, dass in demselben Maasse auch der Frage nach den Primitiv-
organen des Keimes eine allgemeine Berücksichtigung zu Theil ward.
Dem ist jedoch nicht so und blieb die Blättertheorie Pander’s und
v. Baer’s so sehr auf die eigenen Kreise der Embryologie beschränkt,
dass eigentlich nur zwei Autoren, nämlich Reichert und Remak an
ihrer weiteren Ausbildung einen nennenswerthen Antheil nahmen.
Reichert verfolgte die Anlage des Embryo beim Frosche und Hühn-Reichert.
chen und fand bei denselben nicht unerhebliche Verschiedenheiten
(Entwicklungsleben im Wirbelthierreich 1840 und Beiträge zur
Kenntniss des heutigen Zustandes der Entwicklungsgeschichte, Ber-
lin 1843). Beim Frosch bildet sich aus dem gefurchten Dotter zu
äusserst die sogenannte Umhüllungshaut, eine vergängliche
epithelartige Hülle. Dann entstehen der Reihe nach, indem eine
Lage Furchungskugeln nach der andern weiter sich organisirt, 1) die
blattförmige Anlage des Centralnervensystems und zu beiden Seiten
davon die Anlagen des Hautsystems, 2) die Chorda mit der blatt-
förmigen paarigen Anlage des Wirbelsystems, 3) das Blutsystem mit
dem Herz, den grossen Gefässen, der Leber, dem Pancreas und den
Urnieren, endlich 4) die Anlage des Darmsystems für alle Häute des
Darmkanals. Beim Hühnchen lässt Reichert aus dem Keime oder
der Keimhaut des bebrüteten Eies, von der er übrigens nur ein
oberes Blatt kannte, ebenfalls eine vergängliche Umhüllungshaut

Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 2
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[[17]/0033] Vierte Vorlesung. Meine Herren! Die Betrachtungen der vorigen Stunde haben ergeben, wie die neuere Entwicklungsgeschichte in allgemeinen hi- stologischen Fragen in Folge der vereinten Leistungen vieler For- scher in einem weiten Gebiete ihren mächtigen Einfluss entfaltete, und für sich selbst eine gesicherte Basis errang. Man sollte nun denken, dass in demselben Maasse auch der Frage nach den Primitiv- organen des Keimes eine allgemeine Berücksichtigung zu Theil ward. Dem ist jedoch nicht so und blieb die Blättertheorie Pander’s und v. Baer’s so sehr auf die eigenen Kreise der Embryologie beschränkt, dass eigentlich nur zwei Autoren, nämlich Reichert und Remak an ihrer weiteren Ausbildung einen nennenswerthen Antheil nahmen. Reichert verfolgte die Anlage des Embryo beim Frosche und Hühn- chen und fand bei denselben nicht unerhebliche Verschiedenheiten (Entwicklungsleben im Wirbelthierreich 1840 und Beiträge zur Kenntniss des heutigen Zustandes der Entwicklungsgeschichte, Ber- lin 1843). Beim Frosch bildet sich aus dem gefurchten Dotter zu äusserst die sogenannte Umhüllungshaut, eine vergängliche epithelartige Hülle. Dann entstehen der Reihe nach, indem eine Lage Furchungskugeln nach der andern weiter sich organisirt, 1) die blattförmige Anlage des Centralnervensystems und zu beiden Seiten davon die Anlagen des Hautsystems, 2) die Chorda mit der blatt- förmigen paarigen Anlage des Wirbelsystems, 3) das Blutsystem mit dem Herz, den grossen Gefässen, der Leber, dem Pancreas und den Urnieren, endlich 4) die Anlage des Darmsystems für alle Häute des Darmkanals. Beim Hühnchen lässt Reichert aus dem Keime oder der Keimhaut des bebrüteten Eies, von der er übrigens nur ein oberes Blatt kannte, ebenfalls eine vergängliche Umhüllungshaut Neueste Blättertheorien. Reichert. Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 2

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. [17]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/33>, abgerufen am 19.03.2024.