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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Zweiunddreissigste Vorlesung.
C. Entwicklung des Geruchsorganes.

Meine Herren! Die Entwicklung des Geruchsorganes hat bis
jetzt bei den Embryologen nicht die Berücksichtigung gefunden,
welche dem Ohre und vor allem dem Auge zu Theil geworden ist,
und erklärt sich so, dass in Betreff derselben noch manche Unklar-
heiten und Verschiedenheiten der Ansichten vorkommen, aus denen
das Wahre herauszufinden kaum möglich ist, wenn man nicht in
der Lage ist, auf eigene Untersuchungen fussen zu können.

Werfen Sie einen Blick auf die embryologische Literatur der
neueren Zeit, so werden Sie bald erkennen, dass mit Bezug auf dieAllgemeines über
die erste
Entwicklung des
Geruchsorganes.

erste Anlage des Geruchsorganes wesentlich zwei Ansichten ver-
treten sind. Nach der einen älteren Auffassung, die vor Allem durch
J. Fr. Meckel in seinem Handbuche der pathologischen Anatomie
(Leipzig 1812. I. St. 524) in die Wissenschaft eingebürgert wordenJ. Fr. Meckel's
Ansicht.

ist, sind Mund- und Nasenhöhle ursprünglich eines und stellen ein
grosses geräumiges Cavum dar, das dann in der Weise, wie ich
Ihnen diess in einer früheren Stunde (Vorl. XXIV. St. 210 u. flgde.)
bei Gelegenheit der Schilderung der Entwicklung des Gesichtes vor-
geführt habe, durch die Bildung des Oberkieferrandes und des Gau-
mens in zwei besondere Höhlen, die Mundhöhle im engeren Sinne
und die eigentliche Nasenhöhle zerfällt. Diese Ansicht stützt sich
vor Allem auf die nicht schwer anzustellende Beobachtung von Em-
bryonen, bei denen (s. Fig. 162) die Nasenhöhlen und die Mund-
höhle in offener Verbindung stehen und fand ausserdem auch in den
häufigen Fällen von Missbildung des Oberkieferrandes und des Gau-
mens, die man Wolfsrachen und Hasenscharte nennt, in denen die
embryonale Vereinigung der beiden Höhlen auch in späterer Zeit
mehr weniger ausgeprägt zu sehen ist, eine mächtige Bekräftigung

Zweiunddreissigste Vorlesung.
C. Entwicklung des Geruchsorganes.

Meine Herren! Die Entwicklung des Geruchsorganes hat bis
jetzt bei den Embryologen nicht die Berücksichtigung gefunden,
welche dem Ohre und vor allem dem Auge zu Theil geworden ist,
und erklärt sich so, dass in Betreff derselben noch manche Unklar-
heiten und Verschiedenheiten der Ansichten vorkommen, aus denen
das Wahre herauszufinden kaum möglich ist, wenn man nicht in
der Lage ist, auf eigene Untersuchungen fussen zu können.

Werfen Sie einen Blick auf die embryologische Literatur der
neueren Zeit, so werden Sie bald erkennen, dass mit Bezug auf dieAllgemeines über
die erste
Entwicklung des
Geruchsorganes.

erste Anlage des Geruchsorganes wesentlich zwei Ansichten ver-
treten sind. Nach der einen älteren Auffassung, die vor Allem durch
J. Fr. Meckel in seinem Handbuche der pathologischen Anatomie
(Leipzig 1812. I. St. 524) in die Wissenschaft eingebürgert wordenJ. Fr. Meckel’s
Ansicht.

ist, sind Mund- und Nasenhöhle ursprünglich eines und stellen ein
grosses geräumiges Cavum dar, das dann in der Weise, wie ich
Ihnen diess in einer früheren Stunde (Vorl. XXIV. St. 210 u. flgde.)
bei Gelegenheit der Schilderung der Entwicklung des Gesichtes vor-
geführt habe, durch die Bildung des Oberkieferrandes und des Gau-
mens in zwei besondere Höhlen, die Mundhöhle im engeren Sinne
und die eigentliche Nasenhöhle zerfällt. Diese Ansicht stützt sich
vor Allem auf die nicht schwer anzustellende Beobachtung von Em-
bryonen, bei denen (s. Fig. 162) die Nasenhöhlen und die Mund-
höhle in offener Verbindung stehen und fand ausserdem auch in den
häufigen Fällen von Missbildung des Oberkieferrandes und des Gau-
mens, die man Wolfsrachen und Hasenscharte nennt, in denen die
embryonale Vereinigung der beiden Höhlen auch in späterer Zeit
mehr weniger ausgeprägt zu sehen ist, eine mächtige Bekräftigung

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[[325]/0341] Zweiunddreissigste Vorlesung. C. Entwicklung des Geruchsorganes. Meine Herren! Die Entwicklung des Geruchsorganes hat bis jetzt bei den Embryologen nicht die Berücksichtigung gefunden, welche dem Ohre und vor allem dem Auge zu Theil geworden ist, und erklärt sich so, dass in Betreff derselben noch manche Unklar- heiten und Verschiedenheiten der Ansichten vorkommen, aus denen das Wahre herauszufinden kaum möglich ist, wenn man nicht in der Lage ist, auf eigene Untersuchungen fussen zu können. Werfen Sie einen Blick auf die embryologische Literatur der neueren Zeit, so werden Sie bald erkennen, dass mit Bezug auf die erste Anlage des Geruchsorganes wesentlich zwei Ansichten ver- treten sind. Nach der einen älteren Auffassung, die vor Allem durch J. Fr. Meckel in seinem Handbuche der pathologischen Anatomie (Leipzig 1812. I. St. 524) in die Wissenschaft eingebürgert worden ist, sind Mund- und Nasenhöhle ursprünglich eines und stellen ein grosses geräumiges Cavum dar, das dann in der Weise, wie ich Ihnen diess in einer früheren Stunde (Vorl. XXIV. St. 210 u. flgde.) bei Gelegenheit der Schilderung der Entwicklung des Gesichtes vor- geführt habe, durch die Bildung des Oberkieferrandes und des Gau- mens in zwei besondere Höhlen, die Mundhöhle im engeren Sinne und die eigentliche Nasenhöhle zerfällt. Diese Ansicht stützt sich vor Allem auf die nicht schwer anzustellende Beobachtung von Em- bryonen, bei denen (s. Fig. 162) die Nasenhöhlen und die Mund- höhle in offener Verbindung stehen und fand ausserdem auch in den häufigen Fällen von Missbildung des Oberkieferrandes und des Gau- mens, die man Wolfsrachen und Hasenscharte nennt, in denen die embryonale Vereinigung der beiden Höhlen auch in späterer Zeit mehr weniger ausgeprägt zu sehen ist, eine mächtige Bekräftigung Allgemeines über die erste Entwicklung des Geruchsorganes. J. Fr. Meckel’s Ansicht.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. [325]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/341>, abgerufen am 19.03.2024.