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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Achtundzwanzigste Vorlesung.
bald die erste Hirnabtheilung in eigentliches Vorderhirn und Zwi-
schenhirn sich umgebildet hat, an der unteren Fläche des letzteren
ihre Lage haben. Während die primitiven Augenblasen diese Lage-
veränderung erleiden, zeigen sie nach Remak insofern ein bemer-
kenswerthes Verhalten, als wenigstens beim Hühnerembryo in einem
gewissen Stadium ihre hohlen Stiele unter einander communiciren,
gewissermaassen in einen gemeinschaftlichen Raum übergehen, be-
vor sie am Boden des Zwischenhirns ausmünden. Dieses Stadium,
obschon nur ein vorübergehendes, indem beide Blasen bald wieder
vollständig von einander sich trennen, ist doch von Interesse mit
Bezug auf den Streit, der früher zwischen zweien der ausgezeichnete-
sten Embryologen, v. Baer und Huschke, in Betreff der allerersten
Entwicklung der Augen herrschte. Während nämlich v. Baer an-
nahm, dass die Augen von Anfang an als gesonderte und selbstän-
dige Ausstülpungen aus dem Gehirn auftreten, vertrat Huschke die
Ansicht, dass denselben ursprünglich eine einzige Anlage zu Grunde
liege, welche nachträglich in zwei zerfalle und führte namentlich die
Missbildung der Cyclopie, bei der nur Ein mittleres Auge vorhanden
ist, sowie das Vorkommen einer eigenthümlichen Spalte an der
fötalen Augenblase, welche er auf die eben erfolgte Trennung der
einfachen Augenanlage bezog, zu Gunsten seiner Ansicht an. Es
haben jedoch die Mehrzahl der neueren Embryologen, vor Allem
Arnold, Ammon, Bischoff, Schöler und Remak im Wesentlichen an
v. Baer sich angeschlossen und hat, wie schon angegeben, Huschke
nur insofern Recht bekommen, als beim Hühnchen ein Uebergangs-
stadium sich findet, in welchem die Stiele der beiden Augenblasen
mit einander in Verbindung sind.

Haben die primitiven Augenblasen ihre Lageveränderung durch-
gemacht, so sieht man sie, wenigstens mit ihren Stielen, an der Basis
des Zwischenhirns liegen, die Blasen selbst dagegen so gelagert,
dass sie mit der einen oberen Seite das Vorderhirn berühren, mit
der unteren dagegen, sowie mit der dem Stiele entgegengesetzten
Polfläche gegen die äusseren Bedeckungen gerichtet sind. Die äussere
Bedeckung der Augenblase soll nach Remak beim Hühnchen nur von
dem Hornblatte gebildet werden, in ähnlicher Weise wie auch das
Medullarrohr ursprünglich unmittelbar nach seiner Schliessung nur
vom Hornblatte bekleidet wird (s. Fig. 24, 25, 26). Derselbe meldet
nämlich (Untersuch. St. 91), dass über und unter den primitiven
Augenblasen das Hornblatt durch die Kopfplatten des mittleren

Achtundzwanzigste Vorlesung.
bald die erste Hirnabtheilung in eigentliches Vorderhirn und Zwi-
schenhirn sich umgebildet hat, an der unteren Fläche des letzteren
ihre Lage haben. Während die primitiven Augenblasen diese Lage-
veränderung erleiden, zeigen sie nach Remak insofern ein bemer-
kenswerthes Verhalten, als wenigstens beim Hühnerembryo in einem
gewissen Stadium ihre hohlen Stiele unter einander communiciren,
gewissermaassen in einen gemeinschaftlichen Raum übergehen, be-
vor sie am Boden des Zwischenhirns ausmünden. Dieses Stadium,
obschon nur ein vorübergehendes, indem beide Blasen bald wieder
vollständig von einander sich trennen, ist doch von Interesse mit
Bezug auf den Streit, der früher zwischen zweien der ausgezeichnete-
sten Embryologen, v. Baer und Huschke, in Betreff der allerersten
Entwicklung der Augen herrschte. Während nämlich v. Baer an-
nahm, dass die Augen von Anfang an als gesonderte und selbstän-
dige Ausstülpungen aus dem Gehirn auftreten, vertrat Huschke die
Ansicht, dass denselben ursprünglich eine einzige Anlage zu Grunde
liege, welche nachträglich in zwei zerfalle und führte namentlich die
Missbildung der Cyclopie, bei der nur Ein mittleres Auge vorhanden
ist, sowie das Vorkommen einer eigenthümlichen Spalte an der
fötalen Augenblase, welche er auf die eben erfolgte Trennung der
einfachen Augenanlage bezog, zu Gunsten seiner Ansicht an. Es
haben jedoch die Mehrzahl der neueren Embryologen, vor Allem
Arnold, Ammon, Bischoff, Schöler und Remak im Wesentlichen an
v. Baer sich angeschlossen und hat, wie schon angegeben, Huschke
nur insofern Recht bekommen, als beim Hühnchen ein Uebergangs-
stadium sich findet, in welchem die Stiele der beiden Augenblasen
mit einander in Verbindung sind.

Haben die primitiven Augenblasen ihre Lageveränderung durch-
gemacht, so sieht man sie, wenigstens mit ihren Stielen, an der Basis
des Zwischenhirns liegen, die Blasen selbst dagegen so gelagert,
dass sie mit der einen oberen Seite das Vorderhirn berühren, mit
der unteren dagegen, sowie mit der dem Stiele entgegengesetzten
Polfläche gegen die äusseren Bedeckungen gerichtet sind. Die äussere
Bedeckung der Augenblase soll nach Remak beim Hühnchen nur von
dem Hornblatte gebildet werden, in ähnlicher Weise wie auch das
Medullarrohr ursprünglich unmittelbar nach seiner Schliessung nur
vom Hornblatte bekleidet wird (s. Fig. 24, 25, 26). Derselbe meldet
nämlich (Untersuch. St. 91), dass über und unter den primitiven
Augenblasen das Hornblatt durch die Kopfplatten des mittleren

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[274/0290] Achtundzwanzigste Vorlesung. bald die erste Hirnabtheilung in eigentliches Vorderhirn und Zwi- schenhirn sich umgebildet hat, an der unteren Fläche des letzteren ihre Lage haben. Während die primitiven Augenblasen diese Lage- veränderung erleiden, zeigen sie nach Remak insofern ein bemer- kenswerthes Verhalten, als wenigstens beim Hühnerembryo in einem gewissen Stadium ihre hohlen Stiele unter einander communiciren, gewissermaassen in einen gemeinschaftlichen Raum übergehen, be- vor sie am Boden des Zwischenhirns ausmünden. Dieses Stadium, obschon nur ein vorübergehendes, indem beide Blasen bald wieder vollständig von einander sich trennen, ist doch von Interesse mit Bezug auf den Streit, der früher zwischen zweien der ausgezeichnete- sten Embryologen, v. Baer und Huschke, in Betreff der allerersten Entwicklung der Augen herrschte. Während nämlich v. Baer an- nahm, dass die Augen von Anfang an als gesonderte und selbstän- dige Ausstülpungen aus dem Gehirn auftreten, vertrat Huschke die Ansicht, dass denselben ursprünglich eine einzige Anlage zu Grunde liege, welche nachträglich in zwei zerfalle und führte namentlich die Missbildung der Cyclopie, bei der nur Ein mittleres Auge vorhanden ist, sowie das Vorkommen einer eigenthümlichen Spalte an der fötalen Augenblase, welche er auf die eben erfolgte Trennung der einfachen Augenanlage bezog, zu Gunsten seiner Ansicht an. Es haben jedoch die Mehrzahl der neueren Embryologen, vor Allem Arnold, Ammon, Bischoff, Schöler und Remak im Wesentlichen an v. Baer sich angeschlossen und hat, wie schon angegeben, Huschke nur insofern Recht bekommen, als beim Hühnchen ein Uebergangs- stadium sich findet, in welchem die Stiele der beiden Augenblasen mit einander in Verbindung sind. Haben die primitiven Augenblasen ihre Lageveränderung durch- gemacht, so sieht man sie, wenigstens mit ihren Stielen, an der Basis des Zwischenhirns liegen, die Blasen selbst dagegen so gelagert, dass sie mit der einen oberen Seite das Vorderhirn berühren, mit der unteren dagegen, sowie mit der dem Stiele entgegengesetzten Polfläche gegen die äusseren Bedeckungen gerichtet sind. Die äussere Bedeckung der Augenblase soll nach Remak beim Hühnchen nur von dem Hornblatte gebildet werden, in ähnlicher Weise wie auch das Medullarrohr ursprünglich unmittelbar nach seiner Schliessung nur vom Hornblatte bekleidet wird (s. Fig. 24, 25, 26). Derselbe meldet nämlich (Untersuch. St. 91), dass über und unter den primitiven Augenblasen das Hornblatt durch die Kopfplatten des mittleren

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/290>, abgerufen am 19.04.2024.