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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung der Harn- oder Geschlechtsorgane.
lich auf einmal der Sinus urogenitalis des männlichen Embryo eine
bedeutende Länge und entsteht ein Ansatz desselben, der im weib-
lichen Geschlechte seines Gleichen nicht hat. Von den weiteren Ver-
änderungen der männlichen Zeugungstheile erwähne ich Ihnen nur
noch, dass das Praeputium im vierten Monate sich bildet, sowie dass
die Corpora cavernosa penis in innigem Zusammenhange mit den Be-
ckenknochen sich hervorbilden und ursprünglich ganz doppelt sind,
dagegen hebe ich nachträglich noch hervor, dass die Prostata imProstata.
dritten Monate sich anlegt und im vierten Monate schon sehr deut-
lich ist. Dieselbe ist anfänglich nichts als eine Verdickung der Stelle,
wo Harnröhre und Genitalstrang zusammentreffen, mit anderen Wor-
ten, des Anfanges des Sinus urogenitalis, an der die ringförmige An-
ordnung der Fasern äusserst deutlich ist. Die Drüsen der Prostata
wuchern im vierten Monate vom Epithel des Kanales aus in die Fa-
sermasse hinein und bilden sich nach Analogie der Speicheldrüsen.

Die weiblichen äusseren Genitalien charakterisiren sich da-Aeussere
weibliche
Genitalien.

durch, dass bei ihnen die Geschlechtsfurche und die Geschlechts-
wülste nicht verwachsen und dadurch der Sinus urogenitalis ganz
kurz bleibt. Die Genitalwülste werden zu den grossen Schamlippen,
die Ränder der Genitalfurche zu den Labia minora, von welchen aus
dann auch eine Falte um die Glans des lange unverhältnissmässig
gross bleibenden Geschlechtsgliedes oder die Clitoris sich herum-
bildet. Eine Naht findet sich hier nur am Damme und auch diese
nicht so bestimmt, wie beim anderen Geschlechte.

Aus der ganzen Schilderung über die Entwicklung der Ge-
schlechtstheile können Sie nun noch das bemerkenswerthe Resultat
entnehmen, dass bei dem einen wie bei dem anderen Geschlechte in
der ursprünglichen Anlage Theile sich finden, welche beiden Ge-
schlechtern angehören. Auch beim männlichen Embryo findet sich
der Müller'sche Gang in seiner ganzen Länge und beim weiblichen
Fötus ist der Wolff'sche Körper und sein Ausführungsgang voll-
kommen ebenso entwickelt wie beim anderen Geschlechte. Demzu-
folge sind beim männlichen Typus Theile in der Anlage vorhanden,
aus denen möglicherweise Eileiter, Uterus und Scheide sich ent-
wickeln könnten, und ebenso besitzt der weibliche Fötus Gebilde,
die ein nebenhodenartiges Organ und einen Samenleiter liefern könn-
ten. In der That sehen wir nun auch, dass normal der Mann in sei-
nem Uterus masculinus wenigstens einen rudimentären weiblichen
Geschlechtskanal, und das Weib im Nebeneierstock ein Analogon

Entwicklung der Harn- oder Geschlechtsorgane.
lich auf einmal der Sinus urogenitalis des männlichen Embryo eine
bedeutende Länge und entsteht ein Ansatz desselben, der im weib-
lichen Geschlechte seines Gleichen nicht hat. Von den weiteren Ver-
änderungen der männlichen Zeugungstheile erwähne ich Ihnen nur
noch, dass das Praeputium im vierten Monate sich bildet, sowie dass
die Corpora cavernosa penis in innigem Zusammenhange mit den Be-
ckenknochen sich hervorbilden und ursprünglich ganz doppelt sind,
dagegen hebe ich nachträglich noch hervor, dass die Prostata imProstata.
dritten Monate sich anlegt und im vierten Monate schon sehr deut-
lich ist. Dieselbe ist anfänglich nichts als eine Verdickung der Stelle,
wo Harnröhre und Genitalstrang zusammentreffen, mit anderen Wor-
ten, des Anfanges des Sinus urogenitalis, an der die ringförmige An-
ordnung der Fasern äusserst deutlich ist. Die Drüsen der Prostata
wuchern im vierten Monate vom Epithel des Kanales aus in die Fa-
sermasse hinein und bilden sich nach Analogie der Speicheldrüsen.

Die weiblichen äusseren Genitalien charakterisiren sich da-Aeussere
weibliche
Genitalien.

durch, dass bei ihnen die Geschlechtsfurche und die Geschlechts-
wülste nicht verwachsen und dadurch der Sinus urogenitalis ganz
kurz bleibt. Die Genitalwülste werden zu den grossen Schamlippen,
die Ränder der Genitalfurche zu den Labia minora, von welchen aus
dann auch eine Falte um die Glans des lange unverhältnissmässig
gross bleibenden Geschlechtsgliedes oder die Clitoris sich herum-
bildet. Eine Naht findet sich hier nur am Damme und auch diese
nicht so bestimmt, wie beim anderen Geschlechte.

Aus der ganzen Schilderung über die Entwicklung der Ge-
schlechtstheile können Sie nun noch das bemerkenswerthe Resultat
entnehmen, dass bei dem einen wie bei dem anderen Geschlechte in
der ursprünglichen Anlage Theile sich finden, welche beiden Ge-
schlechtern angehören. Auch beim männlichen Embryo findet sich
der Müller’sche Gang in seiner ganzen Länge und beim weiblichen
Fötus ist der Wolff’sche Körper und sein Ausführungsgang voll-
kommen ebenso entwickelt wie beim anderen Geschlechte. Demzu-
folge sind beim männlichen Typus Theile in der Anlage vorhanden,
aus denen möglicherweise Eileiter, Uterus und Scheide sich ent-
wickeln könnten, und ebenso besitzt der weibliche Fötus Gebilde,
die ein nebenhodenartiges Organ und einen Samenleiter liefern könn-
ten. In der That sehen wir nun auch, dass normal der Mann in sei-
nem Uterus masculinus wenigstens einen rudimentären weiblichen
Geschlechtskanal, und das Weib im Nebeneierstock ein Analogon

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[461/0477] Entwicklung der Harn- oder Geschlechtsorgane. lich auf einmal der Sinus urogenitalis des männlichen Embryo eine bedeutende Länge und entsteht ein Ansatz desselben, der im weib- lichen Geschlechte seines Gleichen nicht hat. Von den weiteren Ver- änderungen der männlichen Zeugungstheile erwähne ich Ihnen nur noch, dass das Praeputium im vierten Monate sich bildet, sowie dass die Corpora cavernosa penis in innigem Zusammenhange mit den Be- ckenknochen sich hervorbilden und ursprünglich ganz doppelt sind, dagegen hebe ich nachträglich noch hervor, dass die Prostata im dritten Monate sich anlegt und im vierten Monate schon sehr deut- lich ist. Dieselbe ist anfänglich nichts als eine Verdickung der Stelle, wo Harnröhre und Genitalstrang zusammentreffen, mit anderen Wor- ten, des Anfanges des Sinus urogenitalis, an der die ringförmige An- ordnung der Fasern äusserst deutlich ist. Die Drüsen der Prostata wuchern im vierten Monate vom Epithel des Kanales aus in die Fa- sermasse hinein und bilden sich nach Analogie der Speicheldrüsen. Prostata. Die weiblichen äusseren Genitalien charakterisiren sich da- durch, dass bei ihnen die Geschlechtsfurche und die Geschlechts- wülste nicht verwachsen und dadurch der Sinus urogenitalis ganz kurz bleibt. Die Genitalwülste werden zu den grossen Schamlippen, die Ränder der Genitalfurche zu den Labia minora, von welchen aus dann auch eine Falte um die Glans des lange unverhältnissmässig gross bleibenden Geschlechtsgliedes oder die Clitoris sich herum- bildet. Eine Naht findet sich hier nur am Damme und auch diese nicht so bestimmt, wie beim anderen Geschlechte. Aeussere weibliche Genitalien. Aus der ganzen Schilderung über die Entwicklung der Ge- schlechtstheile können Sie nun noch das bemerkenswerthe Resultat entnehmen, dass bei dem einen wie bei dem anderen Geschlechte in der ursprünglichen Anlage Theile sich finden, welche beiden Ge- schlechtern angehören. Auch beim männlichen Embryo findet sich der Müller’sche Gang in seiner ganzen Länge und beim weiblichen Fötus ist der Wolff’sche Körper und sein Ausführungsgang voll- kommen ebenso entwickelt wie beim anderen Geschlechte. Demzu- folge sind beim männlichen Typus Theile in der Anlage vorhanden, aus denen möglicherweise Eileiter, Uterus und Scheide sich ent- wickeln könnten, und ebenso besitzt der weibliche Fötus Gebilde, die ein nebenhodenartiges Organ und einen Samenleiter liefern könn- ten. In der That sehen wir nun auch, dass normal der Mann in sei- nem Uterus masculinus wenigstens einen rudimentären weiblichen Geschlechtskanal, und das Weib im Nebeneierstock ein Analogon

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/477>, abgerufen am 28.03.2024.