Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_043.001 pko_043.009 pko_043.029 pko_043.001 pko_043.009 pko_043.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0047" n="43"/><lb n="pko_043.001"/> „Äneis“, das „Schahname“ des Persers Firdusi, die großen Verserzählungen <lb n="pko_043.002"/> des Mittelalters und der Neuzeit), bezeichnet man als <hi rendition="#i">Kunstepen,</hi> <lb n="pko_043.003"/> ohne damit einen formalen Gattungsunterschied absetzen zu wollen. <lb n="pko_043.004"/> Ein solcher ergibt sich freilich schon daraus, daß vom Kunstepos (dem <lb n="pko_043.005"/> dann aber auch Rolands- und Nibelungenlied als entfernte Abkömmlinge <lb n="pko_043.006"/> Vergils zuzurechnen wären) die naiven stilistischen Mittel des <lb n="pko_043.007"/> älteren Heldenepos durch gelehrt-literarische Übernahme in ihrem <lb n="pko_043.008"/> Wesen verändert werden.</p> <p><lb n="pko_043.009"/> An Stelle der völkischen Heldensage sind schon in den „höfischen“ <lb n="pko_043.010"/> Epen des Mittelalters internationale Sagen und Märchen (besonders aus <lb n="pko_043.011"/> dem Artuskreis: Parzival, Tristan und Isolde) getreten, und das „phantastische“ <lb n="pko_043.012"/> Epos der italienischen Renaissance (Ariosto: „Der rasende <lb n="pko_043.013"/> Roland“) wie des deutschen Rokoko (Wieland: „Oberon“) blieb bei <lb n="pko_043.014"/> diesem Brauch; erst die Romantiker und deren Nachfolger kehrten <lb n="pko_043.015"/> wieder zur nationalen Sage zurück (Fouqué, A. Grün, W. Jordan), <lb n="pko_043.016"/> pflegten aber ebenso gern das Märchenepos (Platen: „Die Abassiden“, <lb n="pko_043.017"/> E. Schulze: „Die bezauberte Rose“). Das 19. Jahrhundert schätzte, seinem <lb n="pko_043.018"/> geschichtlichen Grundcharakter gemäß, vor allem das <hi rendition="#i">historische <lb n="pko_043.019"/> Epos,</hi> in dem Tassos „Befreites Jerusalem“ und Voltaires „Henriade“ <lb n="pko_043.020"/> vorangegangen waren (Lenau: „Die Albigenser“, H. Lingg: „Die <lb n="pko_043.021"/> Völkerwanderung“, A. Meißner: „Ziska“, Hamerling: „Ahasver in <lb n="pko_043.022"/> Rom“ und „König von Sion“). Das <hi rendition="#i">religiös-weltanschauliche Epos,</hi> <lb n="pko_043.023"/> dessen Höchstleistungen in Dantes „Göttlicher Komödie“ und Miltons <lb n="pko_043.024"/> „Verlorenem Paradies“ liegen, haben schon im Frühmittelalter der <lb n="pko_043.025"/> Dichter des „Heliand“ und Otfrid in seinem „Krist“, im 18. Jahrhundert <lb n="pko_043.026"/> Klopstocks „Messias“ (und in dessen schwächlicher Nachfolge <lb n="pko_043.027"/> Bodmer und Wieland), im 19. Jahrhundert F. W. Weber („Dreizehnlinden“) <lb n="pko_043.028"/> gepflegt.</p> <p><lb n="pko_043.029"/> Das hochgespannte und bisweilen auch überspannte Pathos des großen <lb n="pko_043.030"/> Heldengedichtes forderte seit eh und je die Verspottung heraus; solches <lb n="pko_043.031"/> Schicksal widerfuhr schon dem altgriechischen Epos mit dem parodierenden <lb n="pko_043.032"/> Gegenstück eines Froschmäusekriegs (Batrachomyomachie). Das <lb n="pko_043.033"/> Verfahren des <hi rendition="#i">komischen Epos</hi> ist dabei ein doppeltes: entweder richtet <lb n="pko_043.034"/> es das epische Pathos auf geringfügige Dinge <hi rendition="#i">(Parodie:</hi> nach Boileaus <lb n="pko_043.035"/> „Kirchenpult“ und Popes „Lockenraub“ in Deutschland von Zachariä <lb n="pko_043.036"/> als Spezialität gepflegt, gipfelnd in Kortums „Jobsiade“), oder es macht <lb n="pko_043.037"/> einen erhabenen Stoff durch niedrige Behandlungsweise lächerlich <hi rendition="#i">(Travestie:</hi> <lb n="pko_043.038"/> Blumauers travestierte Aeneis, Karel Havlíčeks „Taufe des </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0047]
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„Äneis“, das „Schahname“ des Persers Firdusi, die großen Verserzählungen pko_043.002
des Mittelalters und der Neuzeit), bezeichnet man als Kunstepen, pko_043.003
ohne damit einen formalen Gattungsunterschied absetzen zu wollen. pko_043.004
Ein solcher ergibt sich freilich schon daraus, daß vom Kunstepos (dem pko_043.005
dann aber auch Rolands- und Nibelungenlied als entfernte Abkömmlinge pko_043.006
Vergils zuzurechnen wären) die naiven stilistischen Mittel des pko_043.007
älteren Heldenepos durch gelehrt-literarische Übernahme in ihrem pko_043.008
Wesen verändert werden.
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An Stelle der völkischen Heldensage sind schon in den „höfischen“ pko_043.010
Epen des Mittelalters internationale Sagen und Märchen (besonders aus pko_043.011
dem Artuskreis: Parzival, Tristan und Isolde) getreten, und das „phantastische“ pko_043.012
Epos der italienischen Renaissance (Ariosto: „Der rasende pko_043.013
Roland“) wie des deutschen Rokoko (Wieland: „Oberon“) blieb bei pko_043.014
diesem Brauch; erst die Romantiker und deren Nachfolger kehrten pko_043.015
wieder zur nationalen Sage zurück (Fouqué, A. Grün, W. Jordan), pko_043.016
pflegten aber ebenso gern das Märchenepos (Platen: „Die Abassiden“, pko_043.017
E. Schulze: „Die bezauberte Rose“). Das 19. Jahrhundert schätzte, seinem pko_043.018
geschichtlichen Grundcharakter gemäß, vor allem das historische pko_043.019
Epos, in dem Tassos „Befreites Jerusalem“ und Voltaires „Henriade“ pko_043.020
vorangegangen waren (Lenau: „Die Albigenser“, H. Lingg: „Die pko_043.021
Völkerwanderung“, A. Meißner: „Ziska“, Hamerling: „Ahasver in pko_043.022
Rom“ und „König von Sion“). Das religiös-weltanschauliche Epos, pko_043.023
dessen Höchstleistungen in Dantes „Göttlicher Komödie“ und Miltons pko_043.024
„Verlorenem Paradies“ liegen, haben schon im Frühmittelalter der pko_043.025
Dichter des „Heliand“ und Otfrid in seinem „Krist“, im 18. Jahrhundert pko_043.026
Klopstocks „Messias“ (und in dessen schwächlicher Nachfolge pko_043.027
Bodmer und Wieland), im 19. Jahrhundert F. W. Weber („Dreizehnlinden“) pko_043.028
gepflegt.
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Das hochgespannte und bisweilen auch überspannte Pathos des großen pko_043.030
Heldengedichtes forderte seit eh und je die Verspottung heraus; solches pko_043.031
Schicksal widerfuhr schon dem altgriechischen Epos mit dem parodierenden pko_043.032
Gegenstück eines Froschmäusekriegs (Batrachomyomachie). Das pko_043.033
Verfahren des komischen Epos ist dabei ein doppeltes: entweder richtet pko_043.034
es das epische Pathos auf geringfügige Dinge (Parodie: nach Boileaus pko_043.035
„Kirchenpult“ und Popes „Lockenraub“ in Deutschland von Zachariä pko_043.036
als Spezialität gepflegt, gipfelnd in Kortums „Jobsiade“), oder es macht pko_043.037
einen erhabenen Stoff durch niedrige Behandlungsweise lächerlich (Travestie: pko_043.038
Blumauers travestierte Aeneis, Karel Havlíčeks „Taufe des
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