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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Heran, wem Liebe zu der ernsten Muse
Die Brust mit Sehnsucht und Verlangen schwellt,
Heran, und schöpft aus unsrer Arethuse
Die jedem Lechzer volle Labung quellt!
Heran, wem theuer seines Menschenseyns Kunde,
Wem wichtig inhaltreiche Wissenschaft,
Heran, und schauet hier im festverschlungnen Bunde
Raumlose Weisheit, Huld und Kraft.
Seht hier die morsche Hüls' erhabner Seelen
Aus Stoffen tausendfacher Art gewebt,
Aus Salzen, Säuren, Kalken, Erden, Ölen,
Durch Licht und Luft und Feuerstoff belebt!
Seht hier das labyrinthische Geäder,
Dadurch des Blutes Kugelwoge rollt!
Seht hier des Daseyns Born, das grosse Rad der
Räder,
Dem jede Ader zinst und zollt!
Bist du es, kleiner Muskel unsers Lebens,
Rastloses Triebwerk, Unruh unsrer Brust?
Du Stifter unsers Drängens, Treibens, Strebens?
Du Quelle unsrer Qual und unsrer Lust?
Wir fühlen wohl dein ungestümes Dehnen,
Dein Jagen und dein Schlagen Nacht und Tag --
Doch zu beschwichtigen dein Schmachten und dein
Sehnen,
Ist unsre Menschenkraft zu schwach.

Heran, wem Liebe zu der ernsten Muse
Die Brust mit Sehnsucht und Verlangen schwellt,
Heran, und schöpft aus unsrer Arethuse
Die jedem Lechzer volle Labung quellt!
Heran, wem theuer seines Menschenseyns Kunde,
Wem wichtig inhaltreiche Wissenschaft,
Heran, und schauet hier im festverschlungnen Bunde
Raumlose Weisheit, Huld und Kraft.
Seht hier die morsche Hüls' erhabner Seelen
Aus Stoffen tausendfacher Art gewebt,
Aus Salzen, Säuren, Kalken, Erden, Ölen,
Durch Licht und Luft und Feuerstoff belebt!
Seht hier das labyrinthische Geäder,
Dadurch des Blutes Kugelwoge rollt!
Seht hier des Daseyns Born, das grosse Rad der
Räder,
Dem jede Ader zinst und zollt!
Bist du es, kleiner Muskel unsers Lebens,
Rastloses Triebwerk, Unruh unsrer Brust?
Du Stifter unsers Drängens, Treibens, Strebens?
Du Quelle unsrer Qual und unsrer Lust?
Wir fühlen wohl dein ungestümes Dehnen,
Dein Jagen und dein Schlagen Nacht und Tag —
Doch zu beschwichtigen dein Schmachten und dein
Sehnen,
Ist unsre Menschenkraft zu schwach.

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[142/0158] Heran, wem Liebe zu der ernsten Muse Die Brust mit Sehnsucht und Verlangen schwellt, Heran, und schöpft aus unsrer Arethuse Die jedem Lechzer volle Labung quellt! Heran, wem theuer seines Menschenseyns Kunde, Wem wichtig inhaltreiche Wissenschaft, Heran, und schauet hier im festverschlungnen Bunde Raumlose Weisheit, Huld und Kraft. Seht hier die morsche Hüls' erhabner Seelen Aus Stoffen tausendfacher Art gewebt, Aus Salzen, Säuren, Kalken, Erden, Ölen, Durch Licht und Luft und Feuerstoff belebt! Seht hier das labyrinthische Geäder, Dadurch des Blutes Kugelwoge rollt! Seht hier des Daseyns Born, das grosse Rad der Räder, Dem jede Ader zinst und zollt! Bist du es, kleiner Muskel unsers Lebens, Rastloses Triebwerk, Unruh unsrer Brust? Du Stifter unsers Drängens, Treibens, Strebens? Du Quelle unsrer Qual und unsrer Lust? Wir fühlen wohl dein ungestümes Dehnen, Dein Jagen und dein Schlagen Nacht und Tag — Doch zu beschwichtigen dein Schmachten und dein Sehnen, Ist unsre Menschenkraft zu schwach.

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/158>, abgerufen am 28.03.2024.