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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Julie, Julie, du des Nachts mein Träumen,
Und des Tags mein Gram, wo schwebst du itzt?
Schwebst du droben in den lichten Räumen,
Wo Arkturus glänzt, und Gemma blitzt?
Wallst du unter dieser Bäume Schatten,
Schöne Psyche, wo dein Flügelkleid verbleicht?
Wo gestützt auf den verarmten Gatten
Die verarmte Mutter jammernd schleicht?
Siehst du, Selige, die Salzfluth bittrer Thränen,
Die der Deinen nimmertrockne Augen über-
schwemmt?
Weisst du um das stumme niegestillte Sehnen,
Das ihr trauernd Herz beklemmt?
Süsses Kind, zu plötzlich uns entwunden!
Holde Tochter, uns zu früh geraubt!
Flohen nicht, gleich dreyssig kurzen Stunden,
Deine dreyssig Monden über unser Haupt?
War nicht Wohllaut jeder deiner Züge?
Nicht dein Bau die reinste Eurythmie?
Sprach dein sanftes Aug' nicht Seelengnüge?
Nicht dein klares Lächeln Seelenmelodie?
Lag ein Himmel nicht in deinem Antlitz offen,
Dessen Glanz und Heitre Sinn und Herz erquickt? --
Und zermalmt im Keim ward unser schönstes
Hoffen!
Unsre Ros' als Knosp' erstickt!

Julie, Julie, du des Nachts mein Träumen,
Und des Tags mein Gram, wo schwebst du itzt?
Schwebst du droben in den lichten Räumen,
Wo Arkturus glänzt, und Gemma blitzt?
Wallst du unter dieser Bäume Schatten,
Schöne Psyche, wo dein Flügelkleid verbleicht?
Wo gestützt auf den verarmten Gatten
Die verarmte Mutter jammernd schleicht?
Siehst du, Selige, die Salzfluth bittrer Thränen,
Die der Deinen nimmertrockne Augen über-
schwemmt?
Weisst du um das stumme niegestillte Sehnen,
Das ihr trauernd Herz beklemmt?
Süsses Kind, zu plötzlich uns entwunden!
Holde Tochter, uns zu früh geraubt!
Flohen nicht, gleich dreyssig kurzen Stunden,
Deine dreyssig Monden über unser Haupt?
War nicht Wohllaut jeder deiner Züge?
Nicht dein Bau die reinste Eurythmie?
Sprach dein sanftes Aug' nicht Seelengnüge?
Nicht dein klares Lächeln Seelenmelodie?
Lag ein Himmel nicht in deinem Antlitz offen,
Dessen Glanz und Heitre Sinn und Herz erquickt? —
Und zermalmt im Keim ward unser schönstes
Hoffen!
Unsre Ros' als Knosp' erstickt!

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[338/0360] Julie, Julie, du des Nachts mein Träumen, Und des Tags mein Gram, wo schwebst du itzt? Schwebst du droben in den lichten Räumen, Wo Arkturus glänzt, und Gemma blitzt? Wallst du unter dieser Bäume Schatten, Schöne Psyche, wo dein Flügelkleid verbleicht? Wo gestützt auf den verarmten Gatten Die verarmte Mutter jammernd schleicht? Siehst du, Selige, die Salzfluth bittrer Thränen, Die der Deinen nimmertrockne Augen über- schwemmt? Weisst du um das stumme niegestillte Sehnen, Das ihr trauernd Herz beklemmt? Süsses Kind, zu plötzlich uns entwunden! Holde Tochter, uns zu früh geraubt! Flohen nicht, gleich dreyssig kurzen Stunden, Deine dreyssig Monden über unser Haupt? War nicht Wohllaut jeder deiner Züge? Nicht dein Bau die reinste Eurythmie? Sprach dein sanftes Aug' nicht Seelengnüge? Nicht dein klares Lächeln Seelenmelodie? Lag ein Himmel nicht in deinem Antlitz offen, Dessen Glanz und Heitre Sinn und Herz erquickt? — Und zermalmt im Keim ward unser schönstes Hoffen! Unsre Ros' als Knosp' erstickt!

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/360>, abgerufen am 28.03.2024.