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Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

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Graf. Wo bleibt denn meine werthe Haus-
genossenschaft? -- Liegt Madam Müller noch in
Ohnmacht?
Bitterm. So viel ich im Vorbeygehen am
Schlüsselloch erlauschen konnte, ist sie nunmehro
wieder zu sich selbst gekommen. Ist das nicht ein
geziertes, geschraubtes, gedrechseltes Wesen mit
so einem verlaufenen Dämchen! Da wurde nach
Hirschhorn geschickt, nach Riechspiritus, nach wei-
ßem Pulver; die arme hochedle Mamsell Lotte läuft
Treppe auf, Treppe nieder, daß sie ihre allerlieb-
sten Beinchen kaum mehr fühlt. Ein paar Kannen
kaltes Wasser über den Kopf gegossen, das ist das
kräftigste Mittel gegen alle Ohnmachten. Ich wun-
dere mich nur über die gnädige Frau Gräfin und
über den Hochwohlgebohrnen Herrn Major; die
sind so emsig und ängstlich um sie her beschäftigt,
als ob das Frauenzimmerchen zu Ew. Hochgräfl.
Excellenz hohen Familie gehörte.
Graf. (lächelnd) Wer weiß!
Bitterm. Bey meiner armen Seele! ich glau-
be, wenn ein alter treuer Diener, der seit zwan-
zig Jahren die Ehre hat, Ew. Hochgräfl. Excel-
lenz aufzuwarten, einmal das Unglück hätte, in
Graf. Wo bleibt denn meine werthe Haus-
genoſſenſchaft? — Liegt Madam Muͤller noch in
Ohnmacht?
Bitterm. So viel ich im Vorbeygehen am
Schluͤſſelloch erlauſchen konnte, iſt ſie nunmehro
wieder zu ſich ſelbſt gekommen. Iſt das nicht ein
geziertes, geſchraubtes, gedrechſeltes Weſen mit
ſo einem verlaufenen Daͤmchen! Da wurde nach
Hirſchhorn geſchickt, nach Riechſpiritus, nach wei-
ßem Pulver; die arme hochedle Mamſell Lotte laͤuft
Treppe auf, Treppe nieder, daß ſie ihre allerlieb-
ſten Beinchen kaum mehr fuͤhlt. Ein paar Kannen
kaltes Waſſer uͤber den Kopf gegoſſen, das iſt das
kraͤftigſte Mittel gegen alle Ohnmachten. Ich wun-
dere mich nur uͤber die gnaͤdige Frau Graͤfin und
uͤber den Hochwohlgebohrnen Herrn Major; die
ſind ſo emſig und aͤngſtlich um ſie her beſchaͤftigt,
als ob das Frauenzimmerchen zu Ew. Hochgraͤfl.
Excellenz hohen Familie gehoͤrte.
Graf. (lächelnd) Wer weiß!
Bitterm. Bey meiner armen Seele! ich glau-
be, wenn ein alter treuer Diener, der ſeit zwan-
zig Jahren die Ehre hat, Ew. Hochgraͤfl. Excel-
lenz aufzuwarten, einmal das Ungluͤck haͤtte, in
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[140/0148] Graf. Wo bleibt denn meine werthe Haus- genoſſenſchaft? — Liegt Madam Muͤller noch in Ohnmacht? Bitterm. So viel ich im Vorbeygehen am Schluͤſſelloch erlauſchen konnte, iſt ſie nunmehro wieder zu ſich ſelbſt gekommen. Iſt das nicht ein geziertes, geſchraubtes, gedrechſeltes Weſen mit ſo einem verlaufenen Daͤmchen! Da wurde nach Hirſchhorn geſchickt, nach Riechſpiritus, nach wei- ßem Pulver; die arme hochedle Mamſell Lotte laͤuft Treppe auf, Treppe nieder, daß ſie ihre allerlieb- ſten Beinchen kaum mehr fuͤhlt. Ein paar Kannen kaltes Waſſer uͤber den Kopf gegoſſen, das iſt das kraͤftigſte Mittel gegen alle Ohnmachten. Ich wun- dere mich nur uͤber die gnaͤdige Frau Graͤfin und uͤber den Hochwohlgebohrnen Herrn Major; die ſind ſo emſig und aͤngſtlich um ſie her beſchaͤftigt, als ob das Frauenzimmerchen zu Ew. Hochgraͤfl. Excellenz hohen Familie gehoͤrte. Graf. (lächelnd) Wer weiß! Bitterm. Bey meiner armen Seele! ich glau- be, wenn ein alter treuer Diener, der ſeit zwan- zig Jahren die Ehre hat, Ew. Hochgraͤfl. Excel- lenz aufzuwarten, einmal das Ungluͤck haͤtte, in

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/148>, abgerufen am 29.03.2024.