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Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

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Eulal. Morgen, lieber Alter, Morgen.
Der Major. Keine falsche Bescheidenheit,
Madam! Erlauben Sie ihm, daß er seinem Her-
zen Luft mache, und gestatten sie mir, Zeuge
eines Auftritts zu bleiben, welcher redender als
ihr Gespräch mich belehrt, wie edel Sie Ihre Zeit
zubringen. -- Rede, Alter, rede!
Greis. O, daß jedes meiner Worte Seegen
auf Sie herunter beten könnte! -- Verlassen lag
ich in meiner Hütte, Fieberfrost klapperte mir in
den Zähnen. Der Wind sauste durch die Spalten
meiner zerfallenen Wohnung, und der Regen schlug
durch die zerbrochenen Fenster. Da hatt' ich keine
Decke, meine Füße drein zu wickeln; nur mein
alter treuer Hund wärmte mich und wedelte mir
Trost zu. Aber nicht einmal ein Bissen Brodt
war mir übrig geblieben für den treuen Gefährten
meiner alten Tage. Ach! da erschienen Sie mir
in der Gestalt eines Engels, reichten mir Arze-
neyen, und Ihre tröstende liebliche Stimme wirkte
kräftiger, als Ihre Arzeneyen, kräftiger als die
Hühnerbrühen, die Sie mir täglich schickten, und
der Wein, womit Sie mich labten. Ich bin ge-
nesen; ich habe heute zum ersten Male, im Ange-
sicht
Eulal. Morgen, lieber Alter, Morgen.
Der Major. Keine falſche Beſcheidenheit,
Madam! Erlauben Sie ihm, daß er ſeinem Her-
zen Luft mache, und geſtatten ſie mir, Zeuge
eines Auftritts zu bleiben, welcher redender als
ihr Geſpraͤch mich belehrt, wie edel Sie Ihre Zeit
zubringen. — Rede, Alter, rede!
Greis. O, daß jedes meiner Worte Seegen
auf Sie herunter beten koͤnnte! — Verlaſſen lag
ich in meiner Huͤtte, Fieberfroſt klapperte mir in
den Zaͤhnen. Der Wind ſauſte durch die Spalten
meiner zerfallenen Wohnung, und der Regen ſchlug
durch die zerbrochenen Fenſter. Da hatt’ ich keine
Decke, meine Fuͤße drein zu wickeln; nur mein
alter treuer Hund waͤrmte mich und wedelte mir
Troſt zu. Aber nicht einmal ein Biſſen Brodt
war mir uͤbrig geblieben fuͤr den treuen Gefaͤhrten
meiner alten Tage. Ach! da erſchienen Sie mir
in der Geſtalt eines Engels, reichten mir Arze-
neyen, und Ihre troͤſtende liebliche Stimme wirkte
kraͤftiger, als Ihre Arzeneyen, kraͤftiger als die
Huͤhnerbruͤhen, die Sie mir taͤglich ſchickten, und
der Wein, womit Sie mich labten. Ich bin ge-
neſen; ich habe heute zum erſten Male, im Ange-
ſicht
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[48/0056] Eulal. Morgen, lieber Alter, Morgen. Der Major. Keine falſche Beſcheidenheit, Madam! Erlauben Sie ihm, daß er ſeinem Her- zen Luft mache, und geſtatten ſie mir, Zeuge eines Auftritts zu bleiben, welcher redender als ihr Geſpraͤch mich belehrt, wie edel Sie Ihre Zeit zubringen. — Rede, Alter, rede! Greis. O, daß jedes meiner Worte Seegen auf Sie herunter beten koͤnnte! — Verlaſſen lag ich in meiner Huͤtte, Fieberfroſt klapperte mir in den Zaͤhnen. Der Wind ſauſte durch die Spalten meiner zerfallenen Wohnung, und der Regen ſchlug durch die zerbrochenen Fenſter. Da hatt’ ich keine Decke, meine Fuͤße drein zu wickeln; nur mein alter treuer Hund waͤrmte mich und wedelte mir Troſt zu. Aber nicht einmal ein Biſſen Brodt war mir uͤbrig geblieben fuͤr den treuen Gefaͤhrten meiner alten Tage. Ach! da erſchienen Sie mir in der Geſtalt eines Engels, reichten mir Arze- neyen, und Ihre troͤſtende liebliche Stimme wirkte kraͤftiger, als Ihre Arzeneyen, kraͤftiger als die Huͤhnerbruͤhen, die Sie mir taͤglich ſchickten, und der Wein, womit Sie mich labten. Ich bin ge- neſen; ich habe heute zum erſten Male, im Ange- ſicht

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/56>, abgerufen am 19.04.2024.