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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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noch begünstigt, und nun tritt der anregende Einfluss des Thees oder
Kaffees in seine Rechte. Nicht selten allerdings sucht man denselben,
um ein Uebermass von geistiger Frische zu vermeiden, mit besonderem
Raffinement vorsorglich durch neue Gaben concentrirten Alkohols
wieder einzudämmen.

In diesem Antagonismus zwischen dem Alkohol einerseits, Kaffee
und Thee andererseits liegen auch die Wurzeln der chronischen
Wirkung
dieser Mittel auf das Seelenleben. Die beiden letzteren
Stoffe können bei längerem Missbrauche höchstens zur Entwicklung
neurasthenischer Erscheinungen führen; jenes erstere Gift erzeugt in
mehr oder weniger ausgeprägter Form den Symptomencomplex des
chronischen Alkoholismus. Auf der einen Seite haben wir es mit
dauernder Erregbarkeitssteigerung im Bereiche der intellectuellen Vor-
gänge, mit dem Ausbleiben des geistigen Ermüdungsgefühls und damit
verbundener Schlaflosigkeit zu thun, auf der andern Seite mit Ab-
stumpfung der Intelligenz, vor Allem aber mit erhöhter gemüthlicher
Reizbarkeit, fortschreitender Willensschwäche und dem Verluste jener
moralischen Hemmungen, welche das Handeln des Menschen in be-
stimmte Bahnen lenken. Bedürfte es noch eines Nachweises für die
fundamentalen Verschiedenheiten in der Wirkung des Alkohols und
Thees -- dieser Gegensatz kann wol nicht charakteristischer gedacht
werden. In ihm spiegeln sich praktisch greifbar gerade jene experi-
mentellen Einzelerfahrungen wider, aus denen wir unsere Anschau-
ungen über die Elemente der psychischen Beeinflussung durch Alkohol
und Thee abgeleitet hatten.

f. Morphium.

Der letzte der Stoffe, dem wir noch eine kurze Betrachtung zu
widmen haben, ist das Morphium. Soweit die wenigen über dieses
Mittel vorliegenden Versuche ein Urtheil gestatten, erleichtert das-
selbe sofort die Auffassung äusserer Eindrücke, eine Wirkung, die
ihren Höhepunkt nach 30--35' erreicht, während die Ausführung des
Wahlactes in ganz ähnlichem Tempo erschwert wird. Durch diese
Eigenthümlichkeiten tritt die Morphiumwirkung in Gegensatz zu allen
bisher besprochenen Arten der psychischen Beeinflussung. Sie ver-
bindet die Anregung der intellectuellen Vorgänge, wie sie dem Thee
zukommt, mit der Lähmung des Willens, die wir im zweiten Stadium
der Alkoholvergiftung beobachten. Die Uebereinstimmung dieser

Kraepelin, Beeinflussung. 15

noch begünstigt, und nun tritt der anregende Einfluss des Thees oder
Kaffees in seine Rechte. Nicht selten allerdings sucht man denselben,
um ein Uebermass von geistiger Frische zu vermeiden, mit besonderem
Raffinement vorsorglich durch neue Gaben concentrirten Alkohols
wieder einzudämmen.

In diesem Antagonismus zwischen dem Alkohol einerseits, Kaffee
und Thee andererseits liegen auch die Wurzeln der chronischen
Wirkung
dieser Mittel auf das Seelenleben. Die beiden letzteren
Stoffe können bei längerem Missbrauche höchstens zur Entwicklung
neurasthenischer Erscheinungen führen; jenes erstere Gift erzeugt in
mehr oder weniger ausgeprägter Form den Symptomencomplex des
chronischen Alkoholismus. Auf der einen Seite haben wir es mit
dauernder Erregbarkeitssteigerung im Bereiche der intellectuellen Vor-
gänge, mit dem Ausbleiben des geistigen Ermüdungsgefühls und damit
verbundener Schlaflosigkeit zu thun, auf der andern Seite mit Ab-
stumpfung der Intelligenz, vor Allem aber mit erhöhter gemüthlicher
Reizbarkeit, fortschreitender Willensschwäche und dem Verluste jener
moralischen Hemmungen, welche das Handeln des Menschen in be-
stimmte Bahnen lenken. Bedürfte es noch eines Nachweises für die
fundamentalen Verschiedenheiten in der Wirkung des Alkohols und
Thees — dieser Gegensatz kann wol nicht charakteristischer gedacht
werden. In ihm spiegeln sich praktisch greifbar gerade jene experi-
mentellen Einzelerfahrungen wider, aus denen wir unsere Anschau-
ungen über die Elemente der psychischen Beeinflussung durch Alkohol
und Thee abgeleitet hatten.

f. Morphium.

Der letzte der Stoffe, dem wir noch eine kurze Betrachtung zu
widmen haben, ist das Morphium. Soweit die wenigen über dieses
Mittel vorliegenden Versuche ein Urtheil gestatten, erleichtert das-
selbe sofort die Auffassung äusserer Eindrücke, eine Wirkung, die
ihren Höhepunkt nach 30—35′ erreicht, während die Ausführung des
Wahlactes in ganz ähnlichem Tempo erschwert wird. Durch diese
Eigenthümlichkeiten tritt die Morphiumwirkung in Gegensatz zu allen
bisher besprochenen Arten der psychischen Beeinflussung. Sie ver-
bindet die Anregung der intellectuellen Vorgänge, wie sie dem Thee
zukommt, mit der Lähmung des Willens, die wir im zweiten Stadium
der Alkoholvergiftung beobachten. Die Uebereinstimmung dieser

Kraepelin, Beeinflussung. 15
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[225/0241] noch begünstigt, und nun tritt der anregende Einfluss des Thees oder Kaffees in seine Rechte. Nicht selten allerdings sucht man denselben, um ein Uebermass von geistiger Frische zu vermeiden, mit besonderem Raffinement vorsorglich durch neue Gaben concentrirten Alkohols wieder einzudämmen. In diesem Antagonismus zwischen dem Alkohol einerseits, Kaffee und Thee andererseits liegen auch die Wurzeln der chronischen Wirkung dieser Mittel auf das Seelenleben. Die beiden letzteren Stoffe können bei längerem Missbrauche höchstens zur Entwicklung neurasthenischer Erscheinungen führen; jenes erstere Gift erzeugt in mehr oder weniger ausgeprägter Form den Symptomencomplex des chronischen Alkoholismus. Auf der einen Seite haben wir es mit dauernder Erregbarkeitssteigerung im Bereiche der intellectuellen Vor- gänge, mit dem Ausbleiben des geistigen Ermüdungsgefühls und damit verbundener Schlaflosigkeit zu thun, auf der andern Seite mit Ab- stumpfung der Intelligenz, vor Allem aber mit erhöhter gemüthlicher Reizbarkeit, fortschreitender Willensschwäche und dem Verluste jener moralischen Hemmungen, welche das Handeln des Menschen in be- stimmte Bahnen lenken. Bedürfte es noch eines Nachweises für die fundamentalen Verschiedenheiten in der Wirkung des Alkohols und Thees — dieser Gegensatz kann wol nicht charakteristischer gedacht werden. In ihm spiegeln sich praktisch greifbar gerade jene experi- mentellen Einzelerfahrungen wider, aus denen wir unsere Anschau- ungen über die Elemente der psychischen Beeinflussung durch Alkohol und Thee abgeleitet hatten. f. Morphium. Der letzte der Stoffe, dem wir noch eine kurze Betrachtung zu widmen haben, ist das Morphium. Soweit die wenigen über dieses Mittel vorliegenden Versuche ein Urtheil gestatten, erleichtert das- selbe sofort die Auffassung äusserer Eindrücke, eine Wirkung, die ihren Höhepunkt nach 30—35′ erreicht, während die Ausführung des Wahlactes in ganz ähnlichem Tempo erschwert wird. Durch diese Eigenthümlichkeiten tritt die Morphiumwirkung in Gegensatz zu allen bisher besprochenen Arten der psychischen Beeinflussung. Sie ver- bindet die Anregung der intellectuellen Vorgänge, wie sie dem Thee zukommt, mit der Lähmung des Willens, die wir im zweiten Stadium der Alkoholvergiftung beobachten. Die Uebereinstimmung dieser Kraepelin, Beeinflussung. 15

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/241>, abgerufen am 29.03.2024.