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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Unter dem Einflusse des Alkohols zeigten die mittleren Varia-
tionen im Allgemeinen zunächst eine Neigung zum Anwachsen, die
am Ende der ersten halben Stunde am deutlichsten hervortrat und
erst später, gegen den Schluss des Versuches, mehr dem entgegen-
gesetzten Verhalten wich. Während der ersten 45 Minuten der
Alkoholwirkung waren die Schwankungen in 14 Fällen grösser, in 7
Fällen kleiner, als der Durchschnitt aus den beiden Werthen der
ersten halben Stunde ohne Alkohol; während der letzten Hälfte da-
gegen fielen sie nur 9 Mal grösser, 12 Mal kleiner aus. In Bezug auf
die anfängliche Zunahme der mittleren Variationen unter dem Alkohol-
einflusse stimmen diese Erfahrungen demnach mit denjenigen beim
Addiren überein; dagegen tritt die Abnahme dort früher ein und ist
etwas beträchtlicher, als hier. Dieses Verhalten spricht dafür, dass
die Entstehung der letzteren Erscheinung wesentlich auf die Uebung
zurückzuführen ist, deren Effect hier am geringsten, grösser beim Ad-
diren und am bedeutendsten beim Zahlenlernen ausfällt. Dement-
sprechend macht sich bei dieser letzteren Leistung die nivellirende
Wirkung der Uebung schon von Anfang an bis zum Ueberwiegen der
Ermüdung fortschreitend geltend. Bei der sonstigen vielfachen Ueber-
einstimmung der Lern- und Leseversuche würde diese Auffassung
wol die beste Erklärung des verschiedenartigen Ganges der mittleren
Variationen liefern, zumal beim Zahlenlernen in vier Reihen ohnehin
die Zunahme der Schwankungen nach dem Alkoholgenusse hervortrat.
Wir würden somit zu dem Schlusse kommen, dass der Alkohol an
sich sehr bald eine grössere Unregelmässigkeit der Arbeit
herbeiführt.

Am stärksten ist diese Wirkung etwa eine halbe Stunde nach
dem Genusse des Mittels. Verdeckt und selbst überwogen wird die-
selbe durch den Einfluss der Uebung, der eine fortschreitende Ab-
nahme der Schwankungen erzeugt. Je grösser der Umfang dieses
Einflusses ist, desto undeutlicher und flüchtiger wird die Störung der
Gleichmässigkeit durch den Alkohol. Beim Lesen beobachten wir sie
daher am längsten und ausgeprägtesten, während sie beim Addiren nur
in der ersten Viertelstunde bemerkbar wird und beim Zahlenlernen
häufig ganz ausbleibt. Die initiale Erleichterung der Arbeit beim
Zahlenlernen und Lesen übt auf den Gang der mittleren Variationen
keinen erkennbaren Einfluss.


Unter dem Einflusse des Alkohols zeigten die mittleren Varia-
tionen im Allgemeinen zunächst eine Neigung zum Anwachsen, die
am Ende der ersten halben Stunde am deutlichsten hervortrat und
erst später, gegen den Schluss des Versuches, mehr dem entgegen-
gesetzten Verhalten wich. Während der ersten 45 Minuten der
Alkoholwirkung waren die Schwankungen in 14 Fällen grösser, in 7
Fällen kleiner, als der Durchschnitt aus den beiden Werthen der
ersten halben Stunde ohne Alkohol; während der letzten Hälfte da-
gegen fielen sie nur 9 Mal grösser, 12 Mal kleiner aus. In Bezug auf
die anfängliche Zunahme der mittleren Variationen unter dem Alkohol-
einflusse stimmen diese Erfahrungen demnach mit denjenigen beim
Addiren überein; dagegen tritt die Abnahme dort früher ein und ist
etwas beträchtlicher, als hier. Dieses Verhalten spricht dafür, dass
die Entstehung der letzteren Erscheinung wesentlich auf die Uebung
zurückzuführen ist, deren Effect hier am geringsten, grösser beim Ad-
diren und am bedeutendsten beim Zahlenlernen ausfällt. Dement-
sprechend macht sich bei dieser letzteren Leistung die nivellirende
Wirkung der Uebung schon von Anfang an bis zum Ueberwiegen der
Ermüdung fortschreitend geltend. Bei der sonstigen vielfachen Ueber-
einstimmung der Lern- und Leseversuche würde diese Auffassung
wol die beste Erklärung des verschiedenartigen Ganges der mittleren
Variationen liefern, zumal beim Zahlenlernen in vier Reihen ohnehin
die Zunahme der Schwankungen nach dem Alkoholgenusse hervortrat.
Wir würden somit zu dem Schlusse kommen, dass der Alkohol an
sich sehr bald eine grössere Unregelmässigkeit der Arbeit
herbeiführt.

Am stärksten ist diese Wirkung etwa eine halbe Stunde nach
dem Genusse des Mittels. Verdeckt und selbst überwogen wird die-
selbe durch den Einfluss der Uebung, der eine fortschreitende Ab-
nahme der Schwankungen erzeugt. Je grösser der Umfang dieses
Einflusses ist, desto undeutlicher und flüchtiger wird die Störung der
Gleichmässigkeit durch den Alkohol. Beim Lesen beobachten wir sie
daher am längsten und ausgeprägtesten, während sie beim Addiren nur
in der ersten Viertelstunde bemerkbar wird und beim Zahlenlernen
häufig ganz ausbleibt. Die initiale Erleichterung der Arbeit beim
Zahlenlernen und Lesen übt auf den Gang der mittleren Variationen
keinen erkennbaren Einfluss.


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[90/0106] Unter dem Einflusse des Alkohols zeigten die mittleren Varia- tionen im Allgemeinen zunächst eine Neigung zum Anwachsen, die am Ende der ersten halben Stunde am deutlichsten hervortrat und erst später, gegen den Schluss des Versuches, mehr dem entgegen- gesetzten Verhalten wich. Während der ersten 45 Minuten der Alkoholwirkung waren die Schwankungen in 14 Fällen grösser, in 7 Fällen kleiner, als der Durchschnitt aus den beiden Werthen der ersten halben Stunde ohne Alkohol; während der letzten Hälfte da- gegen fielen sie nur 9 Mal grösser, 12 Mal kleiner aus. In Bezug auf die anfängliche Zunahme der mittleren Variationen unter dem Alkohol- einflusse stimmen diese Erfahrungen demnach mit denjenigen beim Addiren überein; dagegen tritt die Abnahme dort früher ein und ist etwas beträchtlicher, als hier. Dieses Verhalten spricht dafür, dass die Entstehung der letzteren Erscheinung wesentlich auf die Uebung zurückzuführen ist, deren Effect hier am geringsten, grösser beim Ad- diren und am bedeutendsten beim Zahlenlernen ausfällt. Dement- sprechend macht sich bei dieser letzteren Leistung die nivellirende Wirkung der Uebung schon von Anfang an bis zum Ueberwiegen der Ermüdung fortschreitend geltend. Bei der sonstigen vielfachen Ueber- einstimmung der Lern- und Leseversuche würde diese Auffassung wol die beste Erklärung des verschiedenartigen Ganges der mittleren Variationen liefern, zumal beim Zahlenlernen in vier Reihen ohnehin die Zunahme der Schwankungen nach dem Alkoholgenusse hervortrat. Wir würden somit zu dem Schlusse kommen, dass der Alkohol an sich sehr bald eine grössere Unregelmässigkeit der Arbeit herbeiführt. Am stärksten ist diese Wirkung etwa eine halbe Stunde nach dem Genusse des Mittels. Verdeckt und selbst überwogen wird die- selbe durch den Einfluss der Uebung, der eine fortschreitende Ab- nahme der Schwankungen erzeugt. Je grösser der Umfang dieses Einflusses ist, desto undeutlicher und flüchtiger wird die Störung der Gleichmässigkeit durch den Alkohol. Beim Lesen beobachten wir sie daher am längsten und ausgeprägtesten, während sie beim Addiren nur in der ersten Viertelstunde bemerkbar wird und beim Zahlenlernen häufig ganz ausbleibt. Die initiale Erleichterung der Arbeit beim Zahlenlernen und Lesen übt auf den Gang der mittleren Variationen keinen erkennbaren Einfluss.

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/106>, abgerufen am 28.03.2024.