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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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XIII.
Ein entarteter Sohn.

Um dieselbe Zeit saß Franz an seinem Pult und zeigte
ein sehr mißvergnügtes Gesicht. Die Ursache dieser
Stimmung war das lange Hinausschieben seiner Hoch¬
zeit. Nichts lag gegen ihn vor; Emma's Liebe zu ihm war
noch die alte, Frau Urban kam ihm mit derselben
Freundlichkeit entgegen, und der Vertrauensposten, den er
als Geschäftsführer inne hatte, zeugte am besten für
die Werthschätzung seiner Person. Endlich, nach mancherlei
Andeutungen, die er sich in Folge der Verzögerung erlaubt
hatte, war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Haupt¬
schuld lediglich an seinem Chef liege. Urban hatte in der
That darauf hingewirkt, daß man es ihm ganz überlasse, den
Tag des Ehebündnisses festzustellen. Er hatte seinen ganz
besonderen Grund dafür. Erstens wollte er sich für die un¬
veränderte Feindschaft, die Emma ihm immer noch entgegen¬
brachte, rächen, und zweitens hatte seiner Meinung nach
Franz noch nicht die genügende Prüfung abgelegt, die ihn
völlig würdig machte, zu der Familie Urban-Kirchberg in ver¬
wandtschaftliche Beziehungen zu treten. Und doch hatte


XIII.
Ein entarteter Sohn.

Um dieſelbe Zeit ſaß Franz an ſeinem Pult und zeigte
ein ſehr mißvergnügtes Geſicht. Die Urſache dieſer
Stimmung war das lange Hinausſchieben ſeiner Hoch¬
zeit. Nichts lag gegen ihn vor; Emma's Liebe zu ihm war
noch die alte, Frau Urban kam ihm mit derſelben
Freundlichkeit entgegen, und der Vertrauenspoſten, den er
als Geſchäftsführer inne hatte, zeugte am beſten für
die Werthſchätzung ſeiner Perſon. Endlich, nach mancherlei
Andeutungen, die er ſich in Folge der Verzögerung erlaubt
hatte, war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Haupt¬
ſchuld lediglich an ſeinem Chef liege. Urban hatte in der
That darauf hingewirkt, daß man es ihm ganz überlaſſe, den
Tag des Ehebündniſſes feſtzuſtellen. Er hatte ſeinen ganz
beſonderen Grund dafür. Erſtens wollte er ſich für die un¬
veränderte Feindſchaft, die Emma ihm immer noch entgegen¬
brachte, rächen, und zweitens hatte ſeiner Meinung nach
Franz noch nicht die genügende Prüfung abgelegt, die ihn
völlig würdig machte, zu der Familie Urban-Kirchberg in ver¬
wandtſchaftliche Beziehungen zu treten. Und doch hatte

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[[184]/0196] XIII. Ein entarteter Sohn. Um dieſelbe Zeit ſaß Franz an ſeinem Pult und zeigte ein ſehr mißvergnügtes Geſicht. Die Urſache dieſer Stimmung war das lange Hinausſchieben ſeiner Hoch¬ zeit. Nichts lag gegen ihn vor; Emma's Liebe zu ihm war noch die alte, Frau Urban kam ihm mit derſelben Freundlichkeit entgegen, und der Vertrauenspoſten, den er als Geſchäftsführer inne hatte, zeugte am beſten für die Werthſchätzung ſeiner Perſon. Endlich, nach mancherlei Andeutungen, die er ſich in Folge der Verzögerung erlaubt hatte, war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Haupt¬ ſchuld lediglich an ſeinem Chef liege. Urban hatte in der That darauf hingewirkt, daß man es ihm ganz überlaſſe, den Tag des Ehebündniſſes feſtzuſtellen. Er hatte ſeinen ganz beſonderen Grund dafür. Erſtens wollte er ſich für die un¬ veränderte Feindſchaft, die Emma ihm immer noch entgegen¬ brachte, rächen, und zweitens hatte ſeiner Meinung nach Franz noch nicht die genügende Prüfung abgelegt, die ihn völlig würdig machte, zu der Familie Urban-Kirchberg in ver¬ wandtſchaftliche Beziehungen zu treten. Und doch hatte

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. [184]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/196>, abgerufen am 28.03.2024.