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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Diese elterlichen Träume hatten bereits begonnen, als
Franz anfing, die Schule zu besuchen, der Großvater nach
dem Heimgange seiner Frau über mangelndes Sehlicht klagte
und Haus und Geschäft ganz in die Hände seines Sohnes
legte. Und als eines Tages dem Alten durch eine Entzündung
seiner Augen das Sehvermögen gänzlich entschwunden, er
ganz und gar auf die liebende Pflege Johannes und Caro¬
linens angewiesen war, ein Leben aus sich heraus führte und
nur noch mit seiner Erinnerung an die alte Zeit und mit
seinen Rathschlägen nützen konnte; als Johannes Timpe der
Werkstätte ganz allein vorstand, er das Schicksal seines Vaters
tagtäglich vor Augen hatte -- wurde umsomehr der Wunsch
in ihm rege, seinem einzigen Kinde Erziehung und Bildung
zu Theil werden zu lassen, die ihm die Fähigkeiten zu geben
vermöchten, eine bessere soziale Stellung einzunehmen und sich
mit weniger saurem Schweiß durchs Leben zu schlagen.

"Er soll Kaufmann werden", hatte er dann eines Tages
mit einer Bestimmtheit gesagt, an welcher nichts mehr zu
ändern war. Und mit diesem Ausspruch verbanden sich merk¬
würdige Ideen, die in innigstem Zusammenhange mit seinem
Gewerbe standen. Er hatte acht Gesellen in seiner Werkstatt,
verlegen, sein Wohlstand schien nach und nach zu reifen, seit¬
dem der industrielle Aufschwung im Viertel immer größer
wurde; ein kleines Kapital war zur Reserve angelegt worden
-- weshalb sollte er also nicht darauf sinnen, aus einem
Handwerker zum Handeltreibenden zu werden, seine Be¬
ziehungen zu erweitern und auf eigene Faust zu spekuliren?
Dazu bedurfte er eines gewiegten Berathers, den er dereinst
in seinem Sohn zu erblicken gedachte.

Dieſe elterlichen Träume hatten bereits begonnen, als
Franz anfing, die Schule zu beſuchen, der Großvater nach
dem Heimgange ſeiner Frau über mangelndes Sehlicht klagte
und Haus und Geſchäft ganz in die Hände ſeines Sohnes
legte. Und als eines Tages dem Alten durch eine Entzündung
ſeiner Augen das Sehvermögen gänzlich entſchwunden, er
ganz und gar auf die liebende Pflege Johannes und Caro¬
linens angewieſen war, ein Leben aus ſich heraus führte und
nur noch mit ſeiner Erinnerung an die alte Zeit und mit
ſeinen Rathſchlägen nützen konnte; als Johannes Timpe der
Werkſtätte ganz allein vorſtand, er das Schickſal ſeines Vaters
tagtäglich vor Augen hatte — wurde umſomehr der Wunſch
in ihm rege, ſeinem einzigen Kinde Erziehung und Bildung
zu Theil werden zu laſſen, die ihm die Fähigkeiten zu geben
vermöchten, eine beſſere ſoziale Stellung einzunehmen und ſich
mit weniger ſaurem Schweiß durchs Leben zu ſchlagen.

„Er ſoll Kaufmann werden“, hatte er dann eines Tages
mit einer Beſtimmtheit geſagt, an welcher nichts mehr zu
ändern war. Und mit dieſem Ausſpruch verbanden ſich merk¬
würdige Ideen, die in innigſtem Zuſammenhange mit ſeinem
Gewerbe ſtanden. Er hatte acht Geſellen in ſeiner Werkſtatt,
verlegen, ſein Wohlſtand ſchien nach und nach zu reifen, ſeit¬
dem der induſtrielle Aufſchwung im Viertel immer größer
wurde; ein kleines Kapital war zur Reſerve angelegt worden
— weshalb ſollte er alſo nicht darauf ſinnen, aus einem
Handwerker zum Handeltreibenden zu werden, ſeine Be¬
ziehungen zu erweitern und auf eigene Fauſt zu ſpekuliren?
Dazu bedurfte er eines gewiegten Berathers, den er dereinſt
in ſeinem Sohn zu erblicken gedachte.

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[15/0027] Dieſe elterlichen Träume hatten bereits begonnen, als Franz anfing, die Schule zu beſuchen, der Großvater nach dem Heimgange ſeiner Frau über mangelndes Sehlicht klagte und Haus und Geſchäft ganz in die Hände ſeines Sohnes legte. Und als eines Tages dem Alten durch eine Entzündung ſeiner Augen das Sehvermögen gänzlich entſchwunden, er ganz und gar auf die liebende Pflege Johannes und Caro¬ linens angewieſen war, ein Leben aus ſich heraus führte und nur noch mit ſeiner Erinnerung an die alte Zeit und mit ſeinen Rathſchlägen nützen konnte; als Johannes Timpe der Werkſtätte ganz allein vorſtand, er das Schickſal ſeines Vaters tagtäglich vor Augen hatte — wurde umſomehr der Wunſch in ihm rege, ſeinem einzigen Kinde Erziehung und Bildung zu Theil werden zu laſſen, die ihm die Fähigkeiten zu geben vermöchten, eine beſſere ſoziale Stellung einzunehmen und ſich mit weniger ſaurem Schweiß durchs Leben zu ſchlagen. „Er ſoll Kaufmann werden“, hatte er dann eines Tages mit einer Beſtimmtheit geſagt, an welcher nichts mehr zu ändern war. Und mit dieſem Ausſpruch verbanden ſich merk¬ würdige Ideen, die in innigſtem Zuſammenhange mit ſeinem Gewerbe ſtanden. Er hatte acht Geſellen in ſeiner Werkſtatt, verlegen, ſein Wohlſtand ſchien nach und nach zu reifen, ſeit¬ dem der induſtrielle Aufſchwung im Viertel immer größer wurde; ein kleines Kapital war zur Reſerve angelegt worden — weshalb ſollte er alſo nicht darauf ſinnen, aus einem Handwerker zum Handeltreibenden zu werden, ſeine Be¬ ziehungen zu erweitern und auf eigene Fauſt zu ſpekuliren? Dazu bedurfte er eines gewiegten Berathers, den er dereinſt in ſeinem Sohn zu erblicken gedachte.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/27>, abgerufen am 29.03.2024.