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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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Doepkorn wurden mir die liebsten Mitglieder im Lehrerkollegium. Der kath. Religionslehrer Dr. Ochs, jetzt geistl. Rath in Bacharach, war ein offener und umgänglicher Mann mit dem ich oft verkehrte nicht, weil wir die einzigen Raucher im Kollegium waren, sondern weil wir 2 Jahre lang als Nachbarn denselben Schulweg hatten. Die Zahl der prot. Schüler war ca. 200, mehr als 2/3 der Gesamtschülerzahl. - Bei meiner Einführung und Vorstellung redete ich alle Anwesenden zusammenfassend mit: Meine Herren! an, anstatt Lehrer und Schüler geziemend zu scheiden. Die Schüler fühlten sich natürlich sehr gehoben. Aber Prof. Butters meinte: Unser Kollege Krieger wird die Burschen bald anders titulieren. Er hatte recht. Aber nur einmal musste ich einem Schüler sagen, er sei ein Lausbub, und nur einmal verabreichte ich eine Ohrfeige und der Empfänger wurde einer meiner anhänglichsten Schüler. Im Grossen und Ganzen kam ich mit den Schülern gut zurecht, obgleich ich auf häuslichen Fleiss und auf ungetheilte Aufmerksamkeit im Unterrichte strenge hielt. Ich trug frei und lebhaft vor, suchte die Hauptsachen klar und bündig einzuprägen, regte zur Aussprache und zu Fragen an, etwas Humor lag mir nahe und ein heiteres Lachen in einer Unterrichtsstunde ist jedenfalls mehr werth als schläfrige Augen und gähnende Mäuler.

Den Religionsunterricht hatte ich in 4, später wegen grosser Schülerzahl in 5 Abtheilungen zu geben, in jeder Abtheilung in anderer Weise, dem Alter und der geistigen Entwicklung der Schüler entsprechend. Am meisten Noth machte mir die 3. Abtheilung, in welcher Schüler von verschiedenen isolierten Lateinschulen zusammenkamen und in diesen Schülern die mannigfachen Stufen positiver relig. Kenntnisse. Ich sah mich gezwungen, entgegen der Instruktion noch einmal Katechismus zu treiben, um in allen Schülern Grund zum Weiterbau zu legen. Im Oberkurs sollte ich wissenschaftlicher verfahren nach Winken, die mir der Rektor auf Grund von Schüleraussagen ertheilte, denn er selbst hatte meinem Unterrichte nicht beigewohnt. Ich sagte ihm, erst müsse das Wissen kommen, dann eventuell auch Wissenschaftlichkeit, die meiner Ansicht nach nicht in hochklingenden Floskeln bestehe, sondern im logischen Aufbau und im Nachweis des inneren Zusammenhanges und der sachlichen Gliederung der dogmatischen und ethischen

Doepkorn wurden mir die liebsten Mitglieder im Lehrerkollegium. Der kath. Religionslehrer Dr. Ochs, jetzt geistl. Rath in Bacharach, war ein offener und umgänglicher Mann mit dem ich oft verkehrte nicht, weil wir die einzigen Raucher im Kollegium waren, sondern weil wir 2 Jahre lang als Nachbarn denselben Schulweg hatten. Die Zahl der prot. Schüler war ca. 200, mehr als 2/3 der Gesamtschülerzahl. – Bei meiner Einführung und Vorstellung redete ich alle Anwesenden zusammenfassend mit: Meine Herren! an, anstatt Lehrer und Schüler geziemend zu scheiden. Die Schüler fühlten sich natürlich sehr gehoben. Aber Prof. Butters meinte: Unser Kollege Krieger wird die Burschen bald anders titulieren. Er hatte recht. Aber nur einmal musste ich einem Schüler sagen, er sei ein Lausbub, und nur einmal verabreichte ich eine Ohrfeige und der Empfänger wurde einer meiner anhänglichsten Schüler. Im Grossen und Ganzen kam ich mit den Schülern gut zurecht, obgleich ich auf häuslichen Fleiss und auf ungetheilte Aufmerksamkeit im Unterrichte strenge hielt. Ich trug frei und lebhaft vor, suchte die Hauptsachen klar und bündig einzuprägen, regte zur Aussprache und zu Fragen an, etwas Humor lag mir nahe und ein heiteres Lachen in einer Unterrichtsstunde ist jedenfalls mehr werth als schläfrige Augen und gähnende Mäuler.

Den Religionsunterricht hatte ich in 4, später wegen grosser Schülerzahl in 5 Abtheilungen zu geben, in jeder Abtheilung in anderer Weise, dem Alter und der geistigen Entwicklung der Schüler entsprechend. Am meisten Noth machte mir die 3. Abtheilung, in welcher Schüler von verschiedenen isolierten Lateinschulen zusammenkamen und in diesen Schülern die mannigfachen Stufen positiver relig. Kenntnisse. Ich sah mich gezwungen, entgegen der Instruktion noch einmal Katechismus zu treiben, um in allen Schülern Grund zum Weiterbau zu legen. Im Oberkurs sollte ich wissenschaftlicher verfahren nach Winken, die mir der Rektor auf Grund von Schüleraussagen ertheilte, denn er selbst hatte meinem Unterrichte nicht beigewohnt. Ich sagte ihm, erst müsse das Wissen kommen, dann eventuell auch Wissenschaftlichkeit, die meiner Ansicht nach nicht in hochklingenden Floskeln bestehe, sondern im logischen Aufbau und im Nachweis des inneren Zusammenhanges und der sachlichen Gliederung der dogmatischen und ethischen

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Doepkorn wurden mir die liebsten Mitglieder im Lehrerkollegium. Der kath. Religionslehrer Dr. Ochs, jetzt geistl. Rath in Bacharach, war ein offener und umgänglicher Mann mit dem ich oft verkehrte nicht, weil wir die einzigen Raucher im Kollegium waren, sondern weil wir 2 Jahre lang als Nachbarn denselben Schulweg hatten. Die Zahl der prot. Schüler war ca. 200, mehr als 2/3 der Gesamtschülerzahl. &#x2013; Bei meiner Einführung und Vorstellung redete ich alle Anwesenden zusammenfassend mit: Meine Herren! an, anstatt Lehrer und Schüler geziemend zu scheiden. Die Schüler fühlten sich natürlich sehr gehoben. Aber Prof. Butters meinte: Unser Kollege Krieger wird die Burschen bald anders titulieren. Er hatte recht. Aber nur einmal musste ich einem Schüler sagen, er sei ein Lausbub, und nur einmal verabreichte ich eine Ohrfeige und der Empfänger wurde einer meiner anhänglichsten Schüler. Im Grossen und Ganzen kam ich mit den Schülern gut zurecht, obgleich ich auf häuslichen Fleiss und auf ungetheilte Aufmerksamkeit im Unterrichte strenge hielt. Ich trug frei und lebhaft vor, suchte die Hauptsachen klar und bündig einzuprägen, regte zur Aussprache und zu Fragen an, etwas Humor lag mir nahe und ein heiteres Lachen in einer Unterrichtsstunde ist jedenfalls mehr werth als schläfrige Augen und gähnende Mäuler.</p>
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[62/0062] Doepkorn wurden mir die liebsten Mitglieder im Lehrerkollegium. Der kath. Religionslehrer Dr. Ochs, jetzt geistl. Rath in Bacharach, war ein offener und umgänglicher Mann mit dem ich oft verkehrte nicht, weil wir die einzigen Raucher im Kollegium waren, sondern weil wir 2 Jahre lang als Nachbarn denselben Schulweg hatten. Die Zahl der prot. Schüler war ca. 200, mehr als 2/3 der Gesamtschülerzahl. – Bei meiner Einführung und Vorstellung redete ich alle Anwesenden zusammenfassend mit: Meine Herren! an, anstatt Lehrer und Schüler geziemend zu scheiden. Die Schüler fühlten sich natürlich sehr gehoben. Aber Prof. Butters meinte: Unser Kollege Krieger wird die Burschen bald anders titulieren. Er hatte recht. Aber nur einmal musste ich einem Schüler sagen, er sei ein Lausbub, und nur einmal verabreichte ich eine Ohrfeige und der Empfänger wurde einer meiner anhänglichsten Schüler. Im Grossen und Ganzen kam ich mit den Schülern gut zurecht, obgleich ich auf häuslichen Fleiss und auf ungetheilte Aufmerksamkeit im Unterrichte strenge hielt. Ich trug frei und lebhaft vor, suchte die Hauptsachen klar und bündig einzuprägen, regte zur Aussprache und zu Fragen an, etwas Humor lag mir nahe und ein heiteres Lachen in einer Unterrichtsstunde ist jedenfalls mehr werth als schläfrige Augen und gähnende Mäuler. Den Religionsunterricht hatte ich in 4, später wegen grosser Schülerzahl in 5 Abtheilungen zu geben, in jeder Abtheilung in anderer Weise, dem Alter und der geistigen Entwicklung der Schüler entsprechend. Am meisten Noth machte mir die 3. Abtheilung, in welcher Schüler von verschiedenen isolierten Lateinschulen zusammenkamen und in diesen Schülern die mannigfachen Stufen positiver relig. Kenntnisse. Ich sah mich gezwungen, entgegen der Instruktion noch einmal Katechismus zu treiben, um in allen Schülern Grund zum Weiterbau zu legen. Im Oberkurs sollte ich wissenschaftlicher verfahren nach Winken, die mir der Rektor auf Grund von Schüleraussagen ertheilte, denn er selbst hatte meinem Unterrichte nicht beigewohnt. Ich sagte ihm, erst müsse das Wissen kommen, dann eventuell auch Wissenschaftlichkeit, die meiner Ansicht nach nicht in hochklingenden Floskeln bestehe, sondern im logischen Aufbau und im Nachweis des inneren Zusammenhanges und der sachlichen Gliederung der dogmatischen und ethischen

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/62>, abgerufen am 25.04.2024.