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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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und das grösste Zimmer war so niedlich, dass 5 Personsn es vollständig füllten. Trotzdem musste ich auf die ausgesetzte Wohnungsentschädigung noch 50 Gulden drauflegen zur Fortsetzung des mich verfolgenden finanziellen Missgeschicks. Die Kirchengemeinde aber führte mir zu Gemüthe, dass ich eine sehr einträgliche Pfarrei habe, sie ertrug nämlich ausser angeblich freier Wohnung und den Kasualgebühren 1000 Gulden = 1721 Mark! -

Es war hohe Zeit gewesen, dass wir unseren Haushalt in Ordnung brachten, denn am 31. Januar 1863 kam unser Ernst-Friedrich. Wir hatten Noth, in dem kleinen Häuschen Mutter und Kind leidlich unterzubringen, und bei dem Tauffeste war Gefahr, zerquetscht zu werden, obgleich die Zahl der Geladenen auf das Minimum reduziert wurde.

Die Taufe selbst wurde nach St. Ingberter Sitte gehalten und darum in der Kirche am Taufsteine vollzogen. Mein Vater war Täufer, Pathen waren Pfarrer Roebenacker und meine Schwägerin Marie, die bei unserer Trauung Braut und Bräutigam zum Altare geführt hatten. In feierlichem Zuge, voran der Täufling von der dicken Hebamme getragen, gingen die Pathen und anderen Taufgäste zur Kirche. Die Schuljugend, auf dem langen Wege in Menge angelockt, stellte sich vor der Kirche auf und streckten den Pathen nach vollzogener Taufe die offenen Hände, die aufgehaltenen Schürzen und Kappen entgegen, um "Zuckerbohnen" zu empfangen, ein Zuckerwerk, welches in verschiedener Güte massenhaft verbraucht wurde. Wehe dem Pathen, welcher nicht ausreichend Vorrath hatte; ihn geleitete die Jugend mit dem Spottverse: Strohpath, hat nichts im Sack als ein bischen Schnopptabak! Der Pathe Roebenacke hatte sich so vorgesehen, dass seine Taschen strotzten und die Frackzipfel steif vom Leibe abstanden, aber er musste unterwegs bei einem Konditor Ersatzmunition holen, die er, um freien Pass zu bekommen, unermüdlich den Jungen ins Gesicht schoss. Die Reservemunition in der Pfarrwohnung wurde noch vom Fenster aus verfeuert unter Assistenz der Pathin und zum grössten Amüsement der Pathen und zum Staunen der Nachbarschaft.

und das grösste Zimmer war so niedlich, dass 5 Personsn es vollständig füllten. Trotzdem musste ich auf die ausgesetzte Wohnungsentschädigung noch 50 Gulden drauflegen zur Fortsetzung des mich verfolgenden finanziellen Missgeschicks. Die Kirchengemeinde aber führte mir zu Gemüthe, dass ich eine sehr einträgliche Pfarrei habe, sie ertrug nämlich ausser angeblich freier Wohnung und den Kasualgebühren 1000 Gulden = 1721 Mark! -

Es war hohe Zeit gewesen, dass wir unseren Haushalt in Ordnung brachten, denn am 31. Januar 1863 kam unser Ernst-Friedrich. Wir hatten Noth, in dem kleinen Häuschen Mutter und Kind leidlich unterzubringen, und bei dem Tauffeste war Gefahr, zerquetscht zu werden, obgleich die Zahl der Geladenen auf das Minimum reduziert wurde.

Die Taufe selbst wurde nach St. Ingberter Sitte gehalten und darum in der Kirche am Taufsteine vollzogen. Mein Vater war Täufer, Pathen waren Pfarrer Roebenacker und meine Schwägerin Marie, die bei unserer Trauung Braut und Bräutigam zum Altare geführt hatten. In feierlichem Zuge, voran der Täufling von der dicken Hebamme getragen, gingen die Pathen und anderen Taufgäste zur Kirche. Die Schuljugend, auf dem langen Wege in Menge angelockt, stellte sich vor der Kirche auf und streckten den Pathen nach vollzogener Taufe die offenen Hände, die aufgehaltenen Schürzen und Kappen entgegen, um "Zuckerbohnen" zu empfangen, ein Zuckerwerk, welches in verschiedener Güte massenhaft verbraucht wurde. Wehe dem Pathen, welcher nicht ausreichend Vorrath hatte; ihn geleitete die Jugend mit dem Spottverse: Strohpath, hat nichts im Sack als ein bischen Schnopptabak! Der Pathe Roebenacke hatte sich so vorgesehen, dass seine Taschen strotzten und die Frackzipfel steif vom Leibe abstanden, aber er musste unterwegs bei einem Konditor Ersatzmunition holen, die er, um freien Pass zu bekommen, unermüdlich den Jungen ins Gesicht schoss. Die Reservemunition in der Pfarrwohnung wurde noch vom Fenster aus verfeuert unter Assistenz der Pathin und zum grössten Amüsement der Pathen und zum Staunen der Nachbarschaft.

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und das grösste Zimmer war so niedlich, dass 5 Personsn es vollständig füllten. Trotzdem musste ich auf die ausgesetzte Wohnungsentschädigung noch 50 Gulden drauflegen zur Fortsetzung des mich verfolgenden finanziellen Missgeschicks. Die Kirchengemeinde aber führte mir zu Gemüthe, dass ich eine sehr einträgliche Pfarrei habe, sie ertrug nämlich ausser angeblich freier Wohnung und den Kasualgebühren 1000 Gulden = 1721 Mark! -</p>
        <p>Es war hohe Zeit gewesen, dass wir unseren Haushalt in Ordnung brachten, denn am 31. Januar 1863 kam unser Ernst-Friedrich. Wir hatten Noth, in dem kleinen Häuschen Mutter und Kind leidlich unterzubringen, und bei dem Tauffeste war Gefahr, zerquetscht zu werden, obgleich die Zahl der Geladenen auf das Minimum reduziert wurde.</p>
        <p>Die Taufe selbst wurde nach St. Ingberter Sitte gehalten und darum in der Kirche am Taufsteine vollzogen. Mein Vater war Täufer, Pathen waren Pfarrer Roebenacker und meine Schwägerin Marie, die bei unserer Trauung Braut und Bräutigam zum Altare geführt hatten. In feierlichem Zuge, voran der Täufling von der dicken Hebamme getragen, gingen die Pathen und anderen Taufgäste zur Kirche. Die Schuljugend, auf dem langen Wege in Menge angelockt, stellte sich vor der Kirche auf und streckten den Pathen nach vollzogener Taufe die offenen Hände, die aufgehaltenen Schürzen und Kappen entgegen, um "Zuckerbohnen" zu empfangen, ein Zuckerwerk, welches in verschiedener Güte massenhaft verbraucht wurde. Wehe dem Pathen, welcher nicht ausreichend Vorrath hatte; ihn geleitete die Jugend mit dem Spottverse: Strohpath, hat nichts im Sack als ein bischen Schnopptabak! Der Pathe Roebenacke hatte sich so vorgesehen, dass seine Taschen strotzten und die Frackzipfel steif vom Leibe abstanden, aber er musste unterwegs bei einem Konditor Ersatzmunition holen, die er, um freien Pass zu bekommen, unermüdlich den Jungen ins Gesicht schoss. Die Reservemunition in der Pfarrwohnung wurde noch vom Fenster aus verfeuert unter Assistenz der Pathin und zum grössten Amüsement der Pathen und zum Staunen der Nachbarschaft.
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[75/0075] und das grösste Zimmer war so niedlich, dass 5 Personsn es vollständig füllten. Trotzdem musste ich auf die ausgesetzte Wohnungsentschädigung noch 50 Gulden drauflegen zur Fortsetzung des mich verfolgenden finanziellen Missgeschicks. Die Kirchengemeinde aber führte mir zu Gemüthe, dass ich eine sehr einträgliche Pfarrei habe, sie ertrug nämlich ausser angeblich freier Wohnung und den Kasualgebühren 1000 Gulden = 1721 Mark! - Es war hohe Zeit gewesen, dass wir unseren Haushalt in Ordnung brachten, denn am 31. Januar 1863 kam unser Ernst-Friedrich. Wir hatten Noth, in dem kleinen Häuschen Mutter und Kind leidlich unterzubringen, und bei dem Tauffeste war Gefahr, zerquetscht zu werden, obgleich die Zahl der Geladenen auf das Minimum reduziert wurde. Die Taufe selbst wurde nach St. Ingberter Sitte gehalten und darum in der Kirche am Taufsteine vollzogen. Mein Vater war Täufer, Pathen waren Pfarrer Roebenacker und meine Schwägerin Marie, die bei unserer Trauung Braut und Bräutigam zum Altare geführt hatten. In feierlichem Zuge, voran der Täufling von der dicken Hebamme getragen, gingen die Pathen und anderen Taufgäste zur Kirche. Die Schuljugend, auf dem langen Wege in Menge angelockt, stellte sich vor der Kirche auf und streckten den Pathen nach vollzogener Taufe die offenen Hände, die aufgehaltenen Schürzen und Kappen entgegen, um "Zuckerbohnen" zu empfangen, ein Zuckerwerk, welches in verschiedener Güte massenhaft verbraucht wurde. Wehe dem Pathen, welcher nicht ausreichend Vorrath hatte; ihn geleitete die Jugend mit dem Spottverse: Strohpath, hat nichts im Sack als ein bischen Schnopptabak! Der Pathe Roebenacke hatte sich so vorgesehen, dass seine Taschen strotzten und die Frackzipfel steif vom Leibe abstanden, aber er musste unterwegs bei einem Konditor Ersatzmunition holen, die er, um freien Pass zu bekommen, unermüdlich den Jungen ins Gesicht schoss. Die Reservemunition in der Pfarrwohnung wurde noch vom Fenster aus verfeuert unter Assistenz der Pathin und zum grössten Amüsement der Pathen und zum Staunen der Nachbarschaft.

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/75>, abgerufen am 18.04.2024.