Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschichte der Erde
mal ein starkes Fieber bekommen möchte. Ich will nicht
gut davor seyn, aber ich will es ihr doch nicht prophezey-
hen. Denn es ist mit dem Vorhersagen künftiger Dinge
eine gefährliche Sache; wenn wir nicht die Gegenwart
aller würkenden Ursachen, die zu ihrer Hervorbringung
erfordert werden, beweisen können. Indessen wollte ich
doch blos darum die Möglichkeit künftige Begebenheiten
voraus zu sagen, nicht allgemein in Zweifel ziehen. Wir
haben eine durch vielfältige Erfahrung bestätigte Probe
davon an denen Leuten, welche an der Schwindsucht ster-
ben. Denn dergleichen Personen pflegen fast allemal die
Stunde ihres Todes ganz genau zum voraus zu sagen.
Wenn man die Aerzte um die Ursache befraget, so schrei-
ben sie solche entweder einem bloßen blinden Zufalle zu;
aber diese haben gar zu viele Exempel wider sich, oder sie
sind so offenherzig, daß sie gestehen, es sey dieses ein Ge-
heimniß, welches die Grenzen ihrer Vernunft überschrei-
tet, oder sie halten denen in der Seele verborgenen Kräf-
ten mit einer entzückten und geheimnißvollen Miene die
Lobrede. Alles dreyes kan die Sache nicht begreiflich ma-
chen. Ich habe daher darauf gedacht, und bilde mir ein
die Ursache gefunden zu haben. Es kan seyn, daß ich ge-
irrt habe; wäre es aber wohl zu verwundern, wenn man
bey der grösten Finsterniß einen Fehltritt gethan hätte?
Indessen will ich doch meine Gedanken bey dieser Gele-
genheit anführen, und sie denen, welche gnugsame Ein-
sicht besitzen, zu mehrerer Prüfung und Untersuchung
vorlegen. Vor allen Dingen muß man sich nicht einbil-
den, daß die menschliche Seele nichts thun könne, dessen
sie sich nicht bewust ist, wovon ich den Ungrund in mei-
nem Grundrisse eines neuen Lehrgebäudes der Arzeneyge-
lahrheit mit mehrern gezeiget habe. Nein, die Seele mißt,
rechnet und vergleicht, ohne daß wir das geringste davon
wissen. Ich habe nur nöthig mich auf das Gehör zu be-
ruffen, um dieses erweißlich zu machen. Nimmermehr

können

Geſchichte der Erde
mal ein ſtarkes Fieber bekommen moͤchte. Ich will nicht
gut davor ſeyn, aber ich will es ihr doch nicht prophezey-
hen. Denn es iſt mit dem Vorherſagen kuͤnftiger Dinge
eine gefaͤhrliche Sache; wenn wir nicht die Gegenwart
aller wuͤrkenden Urſachen, die zu ihrer Hervorbringung
erfordert werden, beweiſen koͤnnen. Indeſſen wollte ich
doch blos darum die Moͤglichkeit kuͤnftige Begebenheiten
voraus zu ſagen, nicht allgemein in Zweifel ziehen. Wir
haben eine durch vielfaͤltige Erfahrung beſtaͤtigte Probe
davon an denen Leuten, welche an der Schwindſucht ſter-
ben. Denn dergleichen Perſonen pflegen faſt allemal die
Stunde ihres Todes ganz genau zum voraus zu ſagen.
Wenn man die Aerzte um die Urſache befraget, ſo ſchrei-
ben ſie ſolche entweder einem bloßen blinden Zufalle zu;
aber dieſe haben gar zu viele Exempel wider ſich, oder ſie
ſind ſo offenherzig, daß ſie geſtehen, es ſey dieſes ein Ge-
heimniß, welches die Grenzen ihrer Vernunft uͤberſchrei-
tet, oder ſie halten denen in der Seele verborgenen Kraͤf-
ten mit einer entzuͤckten und geheimnißvollen Miene die
Lobrede. Alles dreyes kan die Sache nicht begreiflich ma-
chen. Ich habe daher darauf gedacht, und bilde mir ein
die Urſache gefunden zu haben. Es kan ſeyn, daß ich ge-
irrt habe; waͤre es aber wohl zu verwundern, wenn man
bey der groͤſten Finſterniß einen Fehltritt gethan haͤtte?
Indeſſen will ich doch meine Gedanken bey dieſer Gele-
genheit anfuͤhren, und ſie denen, welche gnugſame Ein-
ſicht beſitzen, zu mehrerer Pruͤfung und Unterſuchung
vorlegen. Vor allen Dingen muß man ſich nicht einbil-
den, daß die menſchliche Seele nichts thun koͤnne, deſſen
ſie ſich nicht bewuſt iſt, wovon ich den Ungrund in mei-
nem Grundriſſe eines neuen Lehrgebaͤudes der Arzeneyge-
lahrheit mit mehrern gezeiget habe. Nein, die Seele mißt,
rechnet und vergleicht, ohne daß wir das geringſte davon
wiſſen. Ich habe nur noͤthig mich auf das Gehoͤr zu be-
ruffen, um dieſes erweißlich zu machen. Nimmermehr

koͤnnen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="152"/><fw place="top" type="header">Ge&#x017F;chichte der Erde</fw><lb/>
mal ein &#x017F;tarkes Fieber bekommen mo&#x0364;chte. Ich will nicht<lb/>
gut davor &#x017F;eyn, aber ich will es ihr doch nicht prophezey-<lb/>
hen. Denn es i&#x017F;t mit dem Vorher&#x017F;agen ku&#x0364;nftiger Dinge<lb/>
eine gefa&#x0364;hrliche Sache; wenn wir nicht die Gegenwart<lb/>
aller wu&#x0364;rkenden Ur&#x017F;achen, die zu ihrer Hervorbringung<lb/>
erfordert werden, bewei&#x017F;en ko&#x0364;nnen. Inde&#x017F;&#x017F;en wollte ich<lb/>
doch blos darum die Mo&#x0364;glichkeit ku&#x0364;nftige Begebenheiten<lb/>
voraus zu &#x017F;agen, nicht allgemein in Zweifel ziehen. Wir<lb/>
haben eine durch vielfa&#x0364;ltige Erfahrung be&#x017F;ta&#x0364;tigte Probe<lb/>
davon an denen Leuten, welche an der Schwind&#x017F;ucht &#x017F;ter-<lb/>
ben. Denn dergleichen Per&#x017F;onen pflegen fa&#x017F;t allemal die<lb/>
Stunde ihres Todes ganz genau zum voraus zu &#x017F;agen.<lb/>
Wenn man die Aerzte um die Ur&#x017F;ache befraget, &#x017F;o &#x017F;chrei-<lb/>
ben &#x017F;ie &#x017F;olche entweder einem bloßen blinden Zufalle zu;<lb/>
aber die&#x017F;e haben gar zu viele Exempel wider &#x017F;ich, oder &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;o offenherzig, daß &#x017F;ie ge&#x017F;tehen, es &#x017F;ey die&#x017F;es ein Ge-<lb/>
heimniß, welches die Grenzen ihrer Vernunft u&#x0364;ber&#x017F;chrei-<lb/>
tet, oder &#x017F;ie halten denen in der Seele verborgenen Kra&#x0364;f-<lb/>
ten mit einer entzu&#x0364;ckten und geheimnißvollen Miene die<lb/>
Lobrede. Alles dreyes kan die Sache nicht begreiflich ma-<lb/>
chen. Ich habe daher darauf gedacht, und bilde mir ein<lb/>
die Ur&#x017F;ache gefunden zu haben. Es kan &#x017F;eyn, daß ich ge-<lb/>
irrt habe; wa&#x0364;re es aber wohl zu verwundern, wenn man<lb/>
bey der gro&#x0364;&#x017F;ten Fin&#x017F;terniß einen Fehltritt gethan ha&#x0364;tte?<lb/>
Inde&#x017F;&#x017F;en will ich doch meine Gedanken bey die&#x017F;er Gele-<lb/>
genheit anfu&#x0364;hren, und &#x017F;ie denen, welche gnug&#x017F;ame Ein-<lb/>
&#x017F;icht be&#x017F;itzen, zu mehrerer Pru&#x0364;fung und Unter&#x017F;uchung<lb/>
vorlegen. Vor allen Dingen muß man &#x017F;ich nicht einbil-<lb/>
den, daß die men&#x017F;chliche Seele nichts thun ko&#x0364;nne, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nicht bewu&#x017F;t i&#x017F;t, wovon ich den Ungrund in mei-<lb/>
nem Grundri&#x017F;&#x017F;e eines neuen Lehrgeba&#x0364;udes der Arzeneyge-<lb/>
lahrheit mit mehrern gezeiget habe. Nein, die Seele mißt,<lb/>
rechnet und vergleicht, ohne daß wir das gering&#x017F;te davon<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en. Ich habe nur no&#x0364;thig mich auf das Geho&#x0364;r zu be-<lb/>
ruffen, um die&#x017F;es erweißlich zu machen. Nimmermehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ko&#x0364;nnen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] Geſchichte der Erde mal ein ſtarkes Fieber bekommen moͤchte. Ich will nicht gut davor ſeyn, aber ich will es ihr doch nicht prophezey- hen. Denn es iſt mit dem Vorherſagen kuͤnftiger Dinge eine gefaͤhrliche Sache; wenn wir nicht die Gegenwart aller wuͤrkenden Urſachen, die zu ihrer Hervorbringung erfordert werden, beweiſen koͤnnen. Indeſſen wollte ich doch blos darum die Moͤglichkeit kuͤnftige Begebenheiten voraus zu ſagen, nicht allgemein in Zweifel ziehen. Wir haben eine durch vielfaͤltige Erfahrung beſtaͤtigte Probe davon an denen Leuten, welche an der Schwindſucht ſter- ben. Denn dergleichen Perſonen pflegen faſt allemal die Stunde ihres Todes ganz genau zum voraus zu ſagen. Wenn man die Aerzte um die Urſache befraget, ſo ſchrei- ben ſie ſolche entweder einem bloßen blinden Zufalle zu; aber dieſe haben gar zu viele Exempel wider ſich, oder ſie ſind ſo offenherzig, daß ſie geſtehen, es ſey dieſes ein Ge- heimniß, welches die Grenzen ihrer Vernunft uͤberſchrei- tet, oder ſie halten denen in der Seele verborgenen Kraͤf- ten mit einer entzuͤckten und geheimnißvollen Miene die Lobrede. Alles dreyes kan die Sache nicht begreiflich ma- chen. Ich habe daher darauf gedacht, und bilde mir ein die Urſache gefunden zu haben. Es kan ſeyn, daß ich ge- irrt habe; waͤre es aber wohl zu verwundern, wenn man bey der groͤſten Finſterniß einen Fehltritt gethan haͤtte? Indeſſen will ich doch meine Gedanken bey dieſer Gele- genheit anfuͤhren, und ſie denen, welche gnugſame Ein- ſicht beſitzen, zu mehrerer Pruͤfung und Unterſuchung vorlegen. Vor allen Dingen muß man ſich nicht einbil- den, daß die menſchliche Seele nichts thun koͤnne, deſſen ſie ſich nicht bewuſt iſt, wovon ich den Ungrund in mei- nem Grundriſſe eines neuen Lehrgebaͤudes der Arzeneyge- lahrheit mit mehrern gezeiget habe. Nein, die Seele mißt, rechnet und vergleicht, ohne daß wir das geringſte davon wiſſen. Ich habe nur noͤthig mich auf das Gehoͤr zu be- ruffen, um dieſes erweißlich zu machen. Nimmermehr koͤnnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746/166
Zitationshilfe: Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746/166>, abgerufen am 29.03.2024.