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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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ihm wohlgethan in diesem Antlitz, aber er sah nichts darauf als die
Ruhe einer sauber gearbeiteten Figur unter Glasschrank. Dagegen
traf ihn vor der Thür über das Treppengeländer des ersten Stockes
herab ein zorniger Mädchenblick aus einem Gehänge, oder vielmehr
aus einem Tauwerk von schlappen Locken -- die Gestalt huschte im
Nu zurück als Moorfeld zu ihrer Loreleyhöhe seinen Blick erhob.
Kopfschüttelnd ging er auf den bezeichneten Eingang des Parlours zu.

Er klopfte, ohne Antwort zu erhalten. Er besann sich nicht lange,
sondern schloß vielmehr, daß es landesübliche Sitte sein müsse, geradezu
zu gehen, ohne sich an irgend eine Form zu binden, da der Mangel der¬
selben unmöglich die spezielle Ungastlichkeit dieses Hauses sein konnte.
Er trat also ein. Das Gefühl unter dem ersten amerikanischen Dache
zu stehen, brachte jetzt eine Pause in all seine übrigen Empfindungen.
Er sah sich im Parlour um, erfüllt und ergriffen von dem Bewußt¬
sein, daß das Zimmer der Abdruck des Menschen sei.

Die Möbelformen hatten nach unsern Begriffen keinen eigentlichen
Styl, wohl aber ließen seltsame Holzarten manch wunderliche Spie¬
lerei zu. So sah Moorfeld ein halb Dutzend spindeldürre Stühle,
welche mit so bizarrer Feinheit geschnitzt waren, daß selbst die Königin
Mab, wie es schien, darauf hätte durchbrechen müssen. Nur eine un¬
gewöhnliche Holzfaser konnte diese Bearbeitung erlauben, aber die sinn¬
liche Vorstellung des Sitzens war ganz bedachtlos dabei verletzt. Nach
demselben Mißverhältniß zwischen Schein und Zweck präsentirte sich
der Sophaüberzug: er brillirte in einem orange-prächtigen Farben¬
muster, das das Auge lebhaft genug traf, aber das Muster stellte
nichts weniger als einen -- Waldbrand vor. Moorfeld mußte mehr als
lächeln, daß der Zumuthung, sich auf Feuerflammen zu setzen, nicht das Ge¬
ringste ästhetische Bedenken entgegengestanden hatte. Auf dem Kaminsims
stand eine Stutzuhr mit grellen und glänzenden Farben lackirt, ein paar
Porcellanvasen links und rechts zeichneten sich gleichfalls durch über¬
ladene Buntheit ungefähr im Geschmacke unserer Landleute aus. Im
Trumeau erblickte Moorfeld eine schlecht modellirte Statuette, welche
einen Mann in knappen Stiefeln und Hosen mit Zopf und Stock,
dürftigen Beinen und einem Schlotterbauch vorstellte. Die Unterschrift
lehrte, daß es Washington sei. Moorfeld erschrack bei dem Anblicke
dieses Namens und seufzte achselzuckend: Das ist der Mann, der sie

ihm wohlgethan in dieſem Antlitz, aber er ſah nichts darauf als die
Ruhe einer ſauber gearbeiteten Figur unter Glasſchrank. Dagegen
traf ihn vor der Thür über das Treppengeländer des erſten Stockes
herab ein zorniger Mädchenblick aus einem Gehänge, oder vielmehr
aus einem Tauwerk von ſchlappen Locken — die Geſtalt huſchte im
Nu zurück als Moorfeld zu ihrer Loreleyhöhe ſeinen Blick erhob.
Kopfſchüttelnd ging er auf den bezeichneten Eingang des Parlours zu.

Er klopfte, ohne Antwort zu erhalten. Er beſann ſich nicht lange,
ſondern ſchloß vielmehr, daß es landesübliche Sitte ſein müſſe, geradezu
zu gehen, ohne ſich an irgend eine Form zu binden, da der Mangel der¬
ſelben unmöglich die ſpezielle Ungaſtlichkeit dieſes Hauſes ſein konnte.
Er trat alſo ein. Das Gefühl unter dem erſten amerikaniſchen Dache
zu ſtehen, brachte jetzt eine Pauſe in all ſeine übrigen Empfindungen.
Er ſah ſich im Parlour um, erfüllt und ergriffen von dem Bewußt¬
ſein, daß das Zimmer der Abdruck des Menſchen ſei.

Die Möbelformen hatten nach unſern Begriffen keinen eigentlichen
Styl, wohl aber ließen ſeltſame Holzarten manch wunderliche Spie¬
lerei zu. So ſah Moorfeld ein halb Dutzend ſpindeldürre Stühle,
welche mit ſo bizarrer Feinheit geſchnitzt waren, daß ſelbſt die Königin
Mab, wie es ſchien, darauf hätte durchbrechen müſſen. Nur eine un¬
gewöhnliche Holzfaſer konnte dieſe Bearbeitung erlauben, aber die ſinn¬
liche Vorſtellung des Sitzens war ganz bedachtlos dabei verletzt. Nach
demſelben Mißverhältniß zwiſchen Schein und Zweck präſentirte ſich
der Sophaüberzug: er brillirte in einem orange-prächtigen Farben¬
muſter, das das Auge lebhaft genug traf, aber das Muſter ſtellte
nichts weniger als einen — Waldbrand vor. Moorfeld mußte mehr als
lächeln, daß der Zumuthung, ſich auf Feuerflammen zu ſetzen, nicht das Ge¬
ringſte äſthetiſche Bedenken entgegengeſtanden hatte. Auf dem Kaminſims
ſtand eine Stutzuhr mit grellen und glänzenden Farben lackirt, ein paar
Porcellanvaſen links und rechts zeichneten ſich gleichfalls durch über¬
ladene Buntheit ungefähr im Geſchmacke unſerer Landleute aus. Im
Trumeau erblickte Moorfeld eine ſchlecht modellirte Statuette, welche
einen Mann in knappen Stiefeln und Hoſen mit Zopf und Stock,
dürftigen Beinen und einem Schlotterbauch vorſtellte. Die Unterſchrift
lehrte, daß es Waſhington ſei. Moorfeld erſchrack bei dem Anblicke
dieſes Namens und ſeufzte achſelzuckend: Das iſt der Mann, der ſie

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[24/0042] ihm wohlgethan in dieſem Antlitz, aber er ſah nichts darauf als die Ruhe einer ſauber gearbeiteten Figur unter Glasſchrank. Dagegen traf ihn vor der Thür über das Treppengeländer des erſten Stockes herab ein zorniger Mädchenblick aus einem Gehänge, oder vielmehr aus einem Tauwerk von ſchlappen Locken — die Geſtalt huſchte im Nu zurück als Moorfeld zu ihrer Loreleyhöhe ſeinen Blick erhob. Kopfſchüttelnd ging er auf den bezeichneten Eingang des Parlours zu. Er klopfte, ohne Antwort zu erhalten. Er beſann ſich nicht lange, ſondern ſchloß vielmehr, daß es landesübliche Sitte ſein müſſe, geradezu zu gehen, ohne ſich an irgend eine Form zu binden, da der Mangel der¬ ſelben unmöglich die ſpezielle Ungaſtlichkeit dieſes Hauſes ſein konnte. Er trat alſo ein. Das Gefühl unter dem erſten amerikaniſchen Dache zu ſtehen, brachte jetzt eine Pauſe in all ſeine übrigen Empfindungen. Er ſah ſich im Parlour um, erfüllt und ergriffen von dem Bewußt¬ ſein, daß das Zimmer der Abdruck des Menſchen ſei. Die Möbelformen hatten nach unſern Begriffen keinen eigentlichen Styl, wohl aber ließen ſeltſame Holzarten manch wunderliche Spie¬ lerei zu. So ſah Moorfeld ein halb Dutzend ſpindeldürre Stühle, welche mit ſo bizarrer Feinheit geſchnitzt waren, daß ſelbſt die Königin Mab, wie es ſchien, darauf hätte durchbrechen müſſen. Nur eine un¬ gewöhnliche Holzfaſer konnte dieſe Bearbeitung erlauben, aber die ſinn¬ liche Vorſtellung des Sitzens war ganz bedachtlos dabei verletzt. Nach demſelben Mißverhältniß zwiſchen Schein und Zweck präſentirte ſich der Sophaüberzug: er brillirte in einem orange-prächtigen Farben¬ muſter, das das Auge lebhaft genug traf, aber das Muſter ſtellte nichts weniger als einen — Waldbrand vor. Moorfeld mußte mehr als lächeln, daß der Zumuthung, ſich auf Feuerflammen zu ſetzen, nicht das Ge¬ ringſte äſthetiſche Bedenken entgegengeſtanden hatte. Auf dem Kaminſims ſtand eine Stutzuhr mit grellen und glänzenden Farben lackirt, ein paar Porcellanvaſen links und rechts zeichneten ſich gleichfalls durch über¬ ladene Buntheit ungefähr im Geſchmacke unſerer Landleute aus. Im Trumeau erblickte Moorfeld eine ſchlecht modellirte Statuette, welche einen Mann in knappen Stiefeln und Hoſen mit Zopf und Stock, dürftigen Beinen und einem Schlotterbauch vorſtellte. Die Unterſchrift lehrte, daß es Waſhington ſei. Moorfeld erſchrack bei dem Anblicke dieſes Namens und ſeufzte achſelzuckend: Das iſt der Mann, der ſie

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/42>, abgerufen am 29.03.2024.