Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

-- und herein kamen Rudolf und Lenchen; man konnte nicht sagen: sie gingen, oder sie trugen, zerrten und wehrten sich -- es war Alles zugleich -- und Rudolf nahm das Wort: Haben Sie schon solch eine Patientin gesehen? Das Lenchen thut scheu wie eine Feldlerche. Ich rieth ihr, weil der Doctor schon im Hause sei, sie sollte sich ihre Wunde am Handballen richtig verbinden lassen, da würden wir es ablernen, denn die Stelle ist uncommod, und wir kriegen den Verband nie heraus, wie wir sollten. -- Wir! wir! lachte der Doctor; darum eben sperrt sich das Lenchen; hast du nicht so viel Verstand, Junge? Wie gehört denn das Wir hieher? Wer hat dich zu ihrem Wundarzt bestellt? Wer hat dich zu ihrem Schatten bestellt? Findet sie nicht allein zum Doctor? Müssen Wir überall dabei sein? he? Es war ein herzerfreuender Anblick, wie nun auch Rudolf dastand übergossen von Verlegenheit, die ihm doch wieder nicht recht Ernst schien, und wie das Erglühen, Lächeln, Schmollen, Niederblicken die anmuthigste Verwirrung gleich einem goldenen Netze über das Paar warf. Da halte diesen Daumen, damit du nicht umsonst da bist! sagte der Doctor, indem er sich zur Verbandanlegung herbeiließ und Rudolfen als seinen chirurgischen Gehülfen anzustellen schien. Rudolf faßte die Hand des Mädchens, wie ihm geheißen war, der Doctor lächelte muthwillig in sich, und im Nu hatte er beide Hände mit seiner Bandage zusammengeknüpft. Lenchen schrie mädchenhaft auf und wollte dem Scherze davonlaufen. Der Doctor hielt sie zurück und stimmte seinen Ton höher: Bleiben Sie, schönes Kind, es ist keineswegs auf eine Neckerei hier abgesehen. Dieser Verband soll halten das ganze Leben lang. Ist es so, Vater Raithmeyer? -- Machet mir Freud'! sagte der Bauer kurz, aber in Ton und Geberde mit dem feierlichsten Ausdruck der väterlichen Vollgewalt. Da änderte sich die Scene! Wechselnde

— und herein kamen Rudolf und Lenchen; man konnte nicht sagen: sie gingen, oder sie trugen, zerrten und wehrten sich — es war Alles zugleich — und Rudolf nahm das Wort: Haben Sie schon solch eine Patientin gesehen? Das Lenchen thut scheu wie eine Feldlerche. Ich rieth ihr, weil der Doctor schon im Hause sei, sie sollte sich ihre Wunde am Handballen richtig verbinden lassen, da würden wir es ablernen, denn die Stelle ist uncommod, und wir kriegen den Verband nie heraus, wie wir sollten. — Wir! wir! lachte der Doctor; darum eben sperrt sich das Lenchen; hast du nicht so viel Verstand, Junge? Wie gehört denn das Wir hieher? Wer hat dich zu ihrem Wundarzt bestellt? Wer hat dich zu ihrem Schatten bestellt? Findet sie nicht allein zum Doctor? Müssen Wir überall dabei sein? he? Es war ein herzerfreuender Anblick, wie nun auch Rudolf dastand übergossen von Verlegenheit, die ihm doch wieder nicht recht Ernst schien, und wie das Erglühen, Lächeln, Schmollen, Niederblicken die anmuthigste Verwirrung gleich einem goldenen Netze über das Paar warf. Da halte diesen Daumen, damit du nicht umsonst da bist! sagte der Doctor, indem er sich zur Verbandanlegung herbeiließ und Rudolfen als seinen chirurgischen Gehülfen anzustellen schien. Rudolf faßte die Hand des Mädchens, wie ihm geheißen war, der Doctor lächelte muthwillig in sich, und im Nu hatte er beide Hände mit seiner Bandage zusammengeknüpft. Lenchen schrie mädchenhaft auf und wollte dem Scherze davonlaufen. Der Doctor hielt sie zurück und stimmte seinen Ton höher: Bleiben Sie, schönes Kind, es ist keineswegs auf eine Neckerei hier abgesehen. Dieser Verband soll halten das ganze Leben lang. Ist es so, Vater Raithmeyer? — Machet mir Freud'! sagte der Bauer kurz, aber in Ton und Geberde mit dem feierlichsten Ausdruck der väterlichen Vollgewalt. Da änderte sich die Scene! Wechselnde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0049"/>
&#x2014; und herein kamen Rudolf und      Lenchen; man konnte nicht sagen: sie gingen, oder sie trugen, zerrten und wehrten sich &#x2014; es war      Alles zugleich &#x2014; und Rudolf nahm das Wort: Haben Sie schon solch eine Patientin gesehen? Das      Lenchen thut scheu wie eine Feldlerche. Ich rieth ihr, weil der Doctor schon im Hause sei, sie      sollte sich ihre Wunde am Handballen richtig verbinden lassen, da würden wir es ablernen, denn      die Stelle ist uncommod, und wir kriegen den Verband nie heraus, wie wir sollten. &#x2014; Wir! wir!      lachte der Doctor; darum eben sperrt sich das Lenchen; hast du nicht so viel Verstand, Junge?      Wie gehört denn das Wir hieher? Wer hat dich zu ihrem Wundarzt bestellt? Wer hat dich zu ihrem      Schatten bestellt? Findet sie nicht allein zum Doctor? Müssen Wir überall dabei sein? he? Es      war ein herzerfreuender Anblick, wie nun auch Rudolf dastand übergossen von Verlegenheit, die      ihm doch wieder nicht recht Ernst schien, und wie das Erglühen, Lächeln, Schmollen,      Niederblicken die anmuthigste Verwirrung gleich einem goldenen Netze über das Paar warf. Da      halte diesen Daumen, damit du nicht umsonst da bist! sagte der Doctor, indem er sich zur      Verbandanlegung herbeiließ und Rudolfen als seinen chirurgischen Gehülfen anzustellen schien.      Rudolf faßte die Hand des Mädchens, wie ihm geheißen war, der Doctor lächelte muthwillig in      sich, und im Nu hatte er beide Hände mit seiner Bandage zusammengeknüpft. Lenchen schrie      mädchenhaft auf und wollte dem Scherze davonlaufen. Der Doctor hielt sie zurück und stimmte      seinen Ton höher: Bleiben Sie, schönes Kind, es ist keineswegs auf eine Neckerei hier      abgesehen. Dieser Verband soll halten das ganze Leben lang. Ist es so, Vater Raithmeyer? &#x2014;      Machet mir Freud'! sagte der Bauer kurz, aber in Ton und Geberde mit dem feierlichsten Ausdruck      der väterlichen Vollgewalt. Da änderte sich die Scene! Wechselnde<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] — und herein kamen Rudolf und Lenchen; man konnte nicht sagen: sie gingen, oder sie trugen, zerrten und wehrten sich — es war Alles zugleich — und Rudolf nahm das Wort: Haben Sie schon solch eine Patientin gesehen? Das Lenchen thut scheu wie eine Feldlerche. Ich rieth ihr, weil der Doctor schon im Hause sei, sie sollte sich ihre Wunde am Handballen richtig verbinden lassen, da würden wir es ablernen, denn die Stelle ist uncommod, und wir kriegen den Verband nie heraus, wie wir sollten. — Wir! wir! lachte der Doctor; darum eben sperrt sich das Lenchen; hast du nicht so viel Verstand, Junge? Wie gehört denn das Wir hieher? Wer hat dich zu ihrem Wundarzt bestellt? Wer hat dich zu ihrem Schatten bestellt? Findet sie nicht allein zum Doctor? Müssen Wir überall dabei sein? he? Es war ein herzerfreuender Anblick, wie nun auch Rudolf dastand übergossen von Verlegenheit, die ihm doch wieder nicht recht Ernst schien, und wie das Erglühen, Lächeln, Schmollen, Niederblicken die anmuthigste Verwirrung gleich einem goldenen Netze über das Paar warf. Da halte diesen Daumen, damit du nicht umsonst da bist! sagte der Doctor, indem er sich zur Verbandanlegung herbeiließ und Rudolfen als seinen chirurgischen Gehülfen anzustellen schien. Rudolf faßte die Hand des Mädchens, wie ihm geheißen war, der Doctor lächelte muthwillig in sich, und im Nu hatte er beide Hände mit seiner Bandage zusammengeknüpft. Lenchen schrie mädchenhaft auf und wollte dem Scherze davonlaufen. Der Doctor hielt sie zurück und stimmte seinen Ton höher: Bleiben Sie, schönes Kind, es ist keineswegs auf eine Neckerei hier abgesehen. Dieser Verband soll halten das ganze Leben lang. Ist es so, Vater Raithmeyer? — Machet mir Freud'! sagte der Bauer kurz, aber in Ton und Geberde mit dem feierlichsten Ausdruck der väterlichen Vollgewalt. Da änderte sich die Scene! Wechselnde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:57:16Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/49
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/49>, abgerufen am 29.03.2024.