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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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21.

Von der Sonne war aller Friede und alle Freude gewichen. Bei¬
nahe täglich gab es zwischen Vater und Sohn stachlige Reden, Wort¬
wechsel, Geschrei und heftige Auftritte, und wenn Handlungen ver¬
mieden wurden, die das letzte Band der Liebe in einer Familie zerreißen,
so kam dies blos daher, daß der Sonnenwirth die entschiedene Er¬
klärung seines Sohnes, ein herabwürdigendes Schimpfwort gegen
Christinen werde ihn zu den äußersten Schritten treiben, sich zu
Herzen genommen hatte. Auch würde er der Achtung, welche der
Mann dem Manne durch unbeugsames Beharren auf seinem Willen
und seiner Wahl einflößt, schwerlich in die Länge widerstanden und
vielleicht würde mit der Zeit seine mürrische Einsprache die Eigenschaft
einer jener unangenehmen Gewohnheiten angenommen haben, die man
auszurotten oder wenigstens unschädlich zu machen vermag. Gibt es
ja doch Eltern, die noch immer über die Heirath eines Kindes brum¬
men, während sie schon die Enkel auf den Armen tragen. Aber die
Sonnenwirthin war mit Aufbietung aller ihrer Mittel bemüht, die
mildernde Kraft der Zeit und der vollendeten Thatsache zu bekämpfen
und keine gelindere Wendung des Zwiespaltes aufkommen zu lassen.
Man konnte darüber streiten, ob ihre Stelle -- denn sie galt in ihrer
Umgebung für eine vorzügliche Wirthin -- von Christinen jemals
würdig ausgefüllt werden könne, ein Zweifel, der sie wenig kümmerte,
außer insofern sie ihn als ein Mittel gegen diese Heirath brauchen
konnte; was jedoch für sie als unzweifelhaft feststand, war die Gewi߬
heit, daß sie sich mit dieser Schwiegertochter nimmermehr vertragen
würde. Sie war in ihrer Verfolgung gegen sie zu weit und zu offen¬
kundig vorgegangen, als daß sie, nach ihrer Sinnesart, eine Versöh¬
nung je für möglich halten konnte. Nach menschlicher Berechnung
mußte sie dereinst ihren Mann geraume Zeit überleben, und wenn sie
jetzt diese Heirath seines Sohnes gütlich oder durch Ertrotzung zu
Stande kommen ließ, so glaubte sie, da der Sonnenwirth dann
nicht leicht zur Abfassung eines seinem Sohne feindseligen Testamentes

21.

Von der Sonne war aller Friede und alle Freude gewichen. Bei¬
nahe täglich gab es zwiſchen Vater und Sohn ſtachlige Reden, Wort¬
wechſel, Geſchrei und heftige Auftritte, und wenn Handlungen ver¬
mieden wurden, die das letzte Band der Liebe in einer Familie zerreißen,
ſo kam dies blos daher, daß der Sonnenwirth die entſchiedene Er¬
klärung ſeines Sohnes, ein herabwürdigendes Schimpfwort gegen
Chriſtinen werde ihn zu den äußerſten Schritten treiben, ſich zu
Herzen genommen hatte. Auch würde er der Achtung, welche der
Mann dem Manne durch unbeugſames Beharren auf ſeinem Willen
und ſeiner Wahl einflößt, ſchwerlich in die Länge widerſtanden und
vielleicht würde mit der Zeit ſeine mürriſche Einſprache die Eigenſchaft
einer jener unangenehmen Gewohnheiten angenommen haben, die man
auszurotten oder wenigſtens unſchädlich zu machen vermag. Gibt es
ja doch Eltern, die noch immer über die Heirath eines Kindes brum¬
men, während ſie ſchon die Enkel auf den Armen tragen. Aber die
Sonnenwirthin war mit Aufbietung aller ihrer Mittel bemüht, die
mildernde Kraft der Zeit und der vollendeten Thatſache zu bekämpfen
und keine gelindere Wendung des Zwieſpaltes aufkommen zu laſſen.
Man konnte darüber ſtreiten, ob ihre Stelle — denn ſie galt in ihrer
Umgebung für eine vorzügliche Wirthin — von Chriſtinen jemals
würdig ausgefüllt werden könne, ein Zweifel, der ſie wenig kümmerte,
außer inſofern ſie ihn als ein Mittel gegen dieſe Heirath brauchen
konnte; was jedoch für ſie als unzweifelhaft feſtſtand, war die Gewi߬
heit, daß ſie ſich mit dieſer Schwiegertochter nimmermehr vertragen
würde. Sie war in ihrer Verfolgung gegen ſie zu weit und zu offen¬
kundig vorgegangen, als daß ſie, nach ihrer Sinnesart, eine Verſöh¬
nung je für möglich halten konnte. Nach menſchlicher Berechnung
mußte ſie dereinſt ihren Mann geraume Zeit überleben, und wenn ſie
jetzt dieſe Heirath ſeines Sohnes gütlich oder durch Ertrotzung zu
Stande kommen ließ, ſo glaubte ſie, da der Sonnenwirth dann
nicht leicht zur Abfaſſung eines ſeinem Sohne feindſeligen Teſtamentes

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[202/0218] 21. Von der Sonne war aller Friede und alle Freude gewichen. Bei¬ nahe täglich gab es zwiſchen Vater und Sohn ſtachlige Reden, Wort¬ wechſel, Geſchrei und heftige Auftritte, und wenn Handlungen ver¬ mieden wurden, die das letzte Band der Liebe in einer Familie zerreißen, ſo kam dies blos daher, daß der Sonnenwirth die entſchiedene Er¬ klärung ſeines Sohnes, ein herabwürdigendes Schimpfwort gegen Chriſtinen werde ihn zu den äußerſten Schritten treiben, ſich zu Herzen genommen hatte. Auch würde er der Achtung, welche der Mann dem Manne durch unbeugſames Beharren auf ſeinem Willen und ſeiner Wahl einflößt, ſchwerlich in die Länge widerſtanden und vielleicht würde mit der Zeit ſeine mürriſche Einſprache die Eigenſchaft einer jener unangenehmen Gewohnheiten angenommen haben, die man auszurotten oder wenigſtens unſchädlich zu machen vermag. Gibt es ja doch Eltern, die noch immer über die Heirath eines Kindes brum¬ men, während ſie ſchon die Enkel auf den Armen tragen. Aber die Sonnenwirthin war mit Aufbietung aller ihrer Mittel bemüht, die mildernde Kraft der Zeit und der vollendeten Thatſache zu bekämpfen und keine gelindere Wendung des Zwieſpaltes aufkommen zu laſſen. Man konnte darüber ſtreiten, ob ihre Stelle — denn ſie galt in ihrer Umgebung für eine vorzügliche Wirthin — von Chriſtinen jemals würdig ausgefüllt werden könne, ein Zweifel, der ſie wenig kümmerte, außer inſofern ſie ihn als ein Mittel gegen dieſe Heirath brauchen konnte; was jedoch für ſie als unzweifelhaft feſtſtand, war die Gewi߬ heit, daß ſie ſich mit dieſer Schwiegertochter nimmermehr vertragen würde. Sie war in ihrer Verfolgung gegen ſie zu weit und zu offen¬ kundig vorgegangen, als daß ſie, nach ihrer Sinnesart, eine Verſöh¬ nung je für möglich halten konnte. Nach menſchlicher Berechnung mußte ſie dereinſt ihren Mann geraume Zeit überleben, und wenn ſie jetzt dieſe Heirath ſeines Sohnes gütlich oder durch Ertrotzung zu Stande kommen ließ, ſo glaubte ſie, da der Sonnenwirth dann nicht leicht zur Abfaſſung eines ſeinem Sohne feindſeligen Teſtamentes

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/218>, abgerufen am 29.03.2024.