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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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22.

Heu und Frucht waren eingethan und Alles ging seinen gewöhn¬
lichen Gang, nur in Friedrich's Heirathsangelegenheit wollte keine
Bewegung kommen. Alles, was er bisher gethan hatte, um dieselbe in's
Werk zu setzen, war wie ein Schlag in's Wasser gewesen. Längst
hatte er seine Supplik an die Regierung eingereicht und als Minder¬
jähriger um Heirathserlaubniß gebeten. Damals war er sehr ver¬
gnügt von Göppingen zurückgekommen und hatte Christinen erzählt,
der Vogt, dem er die Schrift zum Beibericht gebracht, habe ihm zwar
scharfe Vermahnungen gegeben, aber den Ausspruch gethan, wenn ein
Bursche sein Mädchen ehrlich machen wolle, so müsse man ihn eher
aufmuntern als abschrecken. Er hatte also nicht mit Unrecht darauf
vertraut, daß die höhere Behörde sein Anliegen nicht aus dem engen
Gesichtskreise der Fleckenregierung betrachten werde. Leider aber wurde
der Vogt bald hernach auf ein anderes Oberamt versetzt und sein
Nachfolger ließ die Schrift liegen. Da braucht's nichts als Geld,
sagte Friedrich, man muß eben seine Schreiber schmieren, damit sie
ihm die Sach' im Andenken erhalten; wenn nur das Geld nicht so
rar wär'! Die Zeit rückte immer näher, wo sein Kind unehlich zur
Welt kommen sollte, um nach der herrschenden Meinung sein Leben
lang einen Makel zu behalten, und Christine jammerte darüber so, daß
sie oft mit ihren Klagen seine eigene Verzweiflung betäubte. Ihr
Vater war bettlägerig geworden; zwar verdienten seine herangewachsenen
Söhne über die Sommerszeit durch Taglohn so viel in's Haus, daß
er nicht wie früher bei dem Pfarrer um Unterstützungen nachsuchen
mußte, aber bei jedem Bissen ließ sich die Armuth mitschmecken, und
Christine, die nach dem ordnungsmäßigen Gang der Dinge, statt
dem elterlichen Hauswesen zur Last zu fallen, einem eigenen hätte
vorstehen sollen, wurde von den Ihrigen scheel angesehen. Sie
machte sie sich ihnen schon dadurch als eine Bürde fühlbar, daß

22.

Heu und Frucht waren eingethan und Alles ging ſeinen gewöhn¬
lichen Gang, nur in Friedrich's Heirathsangelegenheit wollte keine
Bewegung kommen. Alles, was er bisher gethan hatte, um dieſelbe in's
Werk zu ſetzen, war wie ein Schlag in's Waſſer geweſen. Längſt
hatte er ſeine Supplik an die Regierung eingereicht und als Minder¬
jähriger um Heirathserlaubniß gebeten. Damals war er ſehr ver¬
gnügt von Göppingen zurückgekommen und hatte Chriſtinen erzählt,
der Vogt, dem er die Schrift zum Beibericht gebracht, habe ihm zwar
ſcharfe Vermahnungen gegeben, aber den Ausſpruch gethan, wenn ein
Burſche ſein Mädchen ehrlich machen wolle, ſo müſſe man ihn eher
aufmuntern als abſchrecken. Er hatte alſo nicht mit Unrecht darauf
vertraut, daß die höhere Behörde ſein Anliegen nicht aus dem engen
Geſichtskreiſe der Fleckenregierung betrachten werde. Leider aber wurde
der Vogt bald hernach auf ein anderes Oberamt verſetzt und ſein
Nachfolger ließ die Schrift liegen. Da braucht's nichts als Geld,
ſagte Friedrich, man muß eben ſeine Schreiber ſchmieren, damit ſie
ihm die Sach' im Andenken erhalten; wenn nur das Geld nicht ſo
rar wär'! Die Zeit rückte immer näher, wo ſein Kind unehlich zur
Welt kommen ſollte, um nach der herrſchenden Meinung ſein Leben
lang einen Makel zu behalten, und Chriſtine jammerte darüber ſo, daß
ſie oft mit ihren Klagen ſeine eigene Verzweiflung betäubte. Ihr
Vater war bettlägerig geworden; zwar verdienten ſeine herangewachſenen
Söhne über die Sommerszeit durch Taglohn ſo viel in's Haus, daß
er nicht wie früher bei dem Pfarrer um Unterſtützungen nachſuchen
mußte, aber bei jedem Biſſen ließ ſich die Armuth mitſchmecken, und
Chriſtine, die nach dem ordnungsmäßigen Gang der Dinge, ſtatt
dem elterlichen Hausweſen zur Laſt zu fallen, einem eigenen hätte
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[212/0228] 22. Heu und Frucht waren eingethan und Alles ging ſeinen gewöhn¬ lichen Gang, nur in Friedrich's Heirathsangelegenheit wollte keine Bewegung kommen. Alles, was er bisher gethan hatte, um dieſelbe in's Werk zu ſetzen, war wie ein Schlag in's Waſſer geweſen. Längſt hatte er ſeine Supplik an die Regierung eingereicht und als Minder¬ jähriger um Heirathserlaubniß gebeten. Damals war er ſehr ver¬ gnügt von Göppingen zurückgekommen und hatte Chriſtinen erzählt, der Vogt, dem er die Schrift zum Beibericht gebracht, habe ihm zwar ſcharfe Vermahnungen gegeben, aber den Ausſpruch gethan, wenn ein Burſche ſein Mädchen ehrlich machen wolle, ſo müſſe man ihn eher aufmuntern als abſchrecken. Er hatte alſo nicht mit Unrecht darauf vertraut, daß die höhere Behörde ſein Anliegen nicht aus dem engen Geſichtskreiſe der Fleckenregierung betrachten werde. Leider aber wurde der Vogt bald hernach auf ein anderes Oberamt verſetzt und ſein Nachfolger ließ die Schrift liegen. Da braucht's nichts als Geld, ſagte Friedrich, man muß eben ſeine Schreiber ſchmieren, damit ſie ihm die Sach' im Andenken erhalten; wenn nur das Geld nicht ſo rar wär'! Die Zeit rückte immer näher, wo ſein Kind unehlich zur Welt kommen ſollte, um nach der herrſchenden Meinung ſein Leben lang einen Makel zu behalten, und Chriſtine jammerte darüber ſo, daß ſie oft mit ihren Klagen ſeine eigene Verzweiflung betäubte. Ihr Vater war bettlägerig geworden; zwar verdienten ſeine herangewachſenen Söhne über die Sommerszeit durch Taglohn ſo viel in's Haus, daß er nicht wie früher bei dem Pfarrer um Unterſtützungen nachſuchen mußte, aber bei jedem Biſſen ließ ſich die Armuth mitſchmecken, und Chriſtine, die nach dem ordnungsmäßigen Gang der Dinge, ſtatt dem elterlichen Hausweſen zur Laſt zu fallen, einem eigenen hätte vorſtehen ſollen, wurde von den Ihrigen ſcheel angeſehen. Sie machte ſie ſich ihnen ſchon dadurch als eine Bürde fühlbar, daß

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/228>, abgerufen am 28.03.2024.