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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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29.

Der Amtmann von Ebersbach saß im Armstuhl vor seinem Schreib¬
tisch zurückgelehnt, so daß sein Schlafrock von Damast mit großen
Blumen aus einander gefallen war und die lange goldbordirte Weste
nebst dem goldenen Uhrgehänge über dem stattlichen Leibe sehen ließ.
Er war bis zu den seidenen Strümpfen und den Silberschnallenschuhen
herab so vollständig angekleidet, daß er nur den Schlafrock wegzu¬
werfen und in den Tressenrock zu schlüpfen brauchte, um eine Staats¬
visite zu machen oder zu empfangen. Dieser Voraussetzung widersprach
jedoch sein Haarbeutel, der, entweder nachlässig gebunden, oder in
Folge unruhiger Bewegungen des Kopfes wieder aufgegangen, in
trauriger Unordnung über die Lehne herabhing und seinen Puder auf
den Boden verstreut hatte, dabei aber vollkommen zu dem Gesichte
seines Trägers stimmte, in dessen Zügen der äußerste Verdruß zu
lesen war.

Die Amtmännin trat in der Hausjacke und Morgenhaube herein.
Schauderhaft! rief sie und beeilte sich, den anarchischen Haarbeutel
wieder in die Schranken der Ordnung zurückzubringen. Dann legte
sie die Hand auf die Stuhllehne und blickte ihren Gatten aufmerk¬
sam an. Du bist nicht gut bei Laune, mein Schatz, begann sie
endlich.

Man kann nicht immer bei Laune sein, mein Schatz, erwiderte
der Amtmann, dem die Verbesserung seines Kopfputzes unbequem ge¬
wesen sein mochte, obgleich er dabei still gehalten hatte.

Und dein Gesicht, fuhr sie fort, nimmt neuerdings eine gewisse
blauröthliche Färbung an, die mir Besorgniß einflößt. Du solltest
dir mehr Bewegung machen, du steckst noch so tief in den Winter¬
gewohnheiten. Der Schnee ist weg, das Wetter macht sich leidlich:
soll ich dir nicht deine Jagdstiefeln bringen lassen?

Der Amtmann wendete sich unmuthig ab. Du könntest mich
eben so gut vergiften, Sibylle, sagte er, als mir einen solchen Rath
geben.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 21
29.

Der Amtmann von Ebersbach ſaß im Armſtuhl vor ſeinem Schreib¬
tiſch zurückgelehnt, ſo daß ſein Schlafrock von Damaſt mit großen
Blumen aus einander gefallen war und die lange goldbordirte Weſte
nebſt dem goldenen Uhrgehänge über dem ſtattlichen Leibe ſehen ließ.
Er war bis zu den ſeidenen Strümpfen und den Silberſchnallenſchuhen
herab ſo vollſtändig angekleidet, daß er nur den Schlafrock wegzu¬
werfen und in den Treſſenrock zu ſchlüpfen brauchte, um eine Staats¬
viſite zu machen oder zu empfangen. Dieſer Vorausſetzung widerſprach
jedoch ſein Haarbeutel, der, entweder nachläſſig gebunden, oder in
Folge unruhiger Bewegungen des Kopfes wieder aufgegangen, in
trauriger Unordnung über die Lehne herabhing und ſeinen Puder auf
den Boden verſtreut hatte, dabei aber vollkommen zu dem Geſichte
ſeines Trägers ſtimmte, in deſſen Zügen der äußerſte Verdruß zu
leſen war.

Die Amtmännin trat in der Hausjacke und Morgenhaube herein.
Schauderhaft! rief ſie und beeilte ſich, den anarchiſchen Haarbeutel
wieder in die Schranken der Ordnung zurückzubringen. Dann legte
ſie die Hand auf die Stuhllehne und blickte ihren Gatten aufmerk¬
ſam an. Du biſt nicht gut bei Laune, mein Schatz, begann ſie
endlich.

Man kann nicht immer bei Laune ſein, mein Schatz, erwiderte
der Amtmann, dem die Verbeſſerung ſeines Kopfputzes unbequem ge¬
weſen ſein mochte, obgleich er dabei ſtill gehalten hatte.

Und dein Geſicht, fuhr ſie fort, nimmt neuerdings eine gewiſſe
blauröthliche Färbung an, die mir Beſorgniß einflößt. Du ſollteſt
dir mehr Bewegung machen, du ſteckſt noch ſo tief in den Winter¬
gewohnheiten. Der Schnee iſt weg, das Wetter macht ſich leidlich:
ſoll ich dir nicht deine Jagdſtiefeln bringen laſſen?

Der Amtmann wendete ſich unmuthig ab. Du könnteſt mich
eben ſo gut vergiften, Sibylle, ſagte er, als mir einen ſolchen Rath
geben.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 21
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[321/0337] 29. Der Amtmann von Ebersbach ſaß im Armſtuhl vor ſeinem Schreib¬ tiſch zurückgelehnt, ſo daß ſein Schlafrock von Damaſt mit großen Blumen aus einander gefallen war und die lange goldbordirte Weſte nebſt dem goldenen Uhrgehänge über dem ſtattlichen Leibe ſehen ließ. Er war bis zu den ſeidenen Strümpfen und den Silberſchnallenſchuhen herab ſo vollſtändig angekleidet, daß er nur den Schlafrock wegzu¬ werfen und in den Treſſenrock zu ſchlüpfen brauchte, um eine Staats¬ viſite zu machen oder zu empfangen. Dieſer Vorausſetzung widerſprach jedoch ſein Haarbeutel, der, entweder nachläſſig gebunden, oder in Folge unruhiger Bewegungen des Kopfes wieder aufgegangen, in trauriger Unordnung über die Lehne herabhing und ſeinen Puder auf den Boden verſtreut hatte, dabei aber vollkommen zu dem Geſichte ſeines Trägers ſtimmte, in deſſen Zügen der äußerſte Verdruß zu leſen war. Die Amtmännin trat in der Hausjacke und Morgenhaube herein. Schauderhaft! rief ſie und beeilte ſich, den anarchiſchen Haarbeutel wieder in die Schranken der Ordnung zurückzubringen. Dann legte ſie die Hand auf die Stuhllehne und blickte ihren Gatten aufmerk¬ ſam an. Du biſt nicht gut bei Laune, mein Schatz, begann ſie endlich. Man kann nicht immer bei Laune ſein, mein Schatz, erwiderte der Amtmann, dem die Verbeſſerung ſeines Kopfputzes unbequem ge¬ weſen ſein mochte, obgleich er dabei ſtill gehalten hatte. Und dein Geſicht, fuhr ſie fort, nimmt neuerdings eine gewiſſe blauröthliche Färbung an, die mir Beſorgniß einflößt. Du ſollteſt dir mehr Bewegung machen, du ſteckſt noch ſo tief in den Winter¬ gewohnheiten. Der Schnee iſt weg, das Wetter macht ſich leidlich: ſoll ich dir nicht deine Jagdſtiefeln bringen laſſen? Der Amtmann wendete ſich unmuthig ab. Du könnteſt mich eben ſo gut vergiften, Sibylle, ſagte er, als mir einen ſolchen Rath geben. D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 21

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/337>, abgerufen am 25.04.2024.