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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ist Euer Sohn nicht fähig. Zur Zeit Eurer Jugend mag's vielleicht
Mode gewesen sein, ein arms Mädle mit sammt ihrem Kind ins Elend
zu stürzen und sich von ihr rein zu schwören. Jetziger Zeit aber
hält man so etwas für eine Schlechtigkeit, ich wenigstens halt's dafür,
und ein rechtschaffener Vater sollt's auch dafür halten und sollt' seinem
Sohn nicht zureden, daß er's thue, sondern wenn er damit umgeht, das
Mädle zu verrathen, das ihn lieb hat und auf ihn vertraut, und das un¬
schuldig' Würmle -- sein eigen Fleisch und Blut, Vater! -- zu
verleugnen, so sollt' er ihm väterlich ins Gewissen reden und ihm
vorstellen, daß ein Mensch, der das thut, sein Lebenlang, und ob's
ihm noch so gut ging', keine ruhige Stund' mehr haben kann.

Der Sonnenwirth tobte und ergoß sich in Verwünschungen über
die Zuchtlosigkeit und dazwischen in Klagen über die unehrerbietige
Aufführung seines Sohnes. Die Sonnenwirthin, welche zugegen war,
freute sich innig über diese Stichelreden und schürte den Zank, so daß
es beinahe zu Thätlichkeiten kam. Der Sonnenwirth brach jedoch
endlich ab und sagte: Ich will nicht länger mit dir streiten, aber das
erklär' ich dir rundweg und hab's auch vor den Herren gesagt, mein'
Consens geb' ich nun und nimmer dazu.

Dann steh' ich wenigstens vor aller Welt gerechtfertigt da, wenn's
ein Unglück gibt, antwortete Friedrich.

Und was das Rabenkind Geld kostet! wandte sich der Sonnen¬
wirth zu seiner Frau. Denk' nur auch, der Amtmann thut's nicht
anders als daß die Straf' in Geld bezahlt werden soll. Fünfund¬
zwanzig Gulden fordert er für den Fehltritt. Ich hab' gebeten, man
soll's den Burschen abverdienen lassen, wie andere seines Gelichters
auch, die man in die herzoglichen Gärten nach Stuttgart und Lud¬
wigsburg zum Arbeiten schickt; Schimpf und Spott ist er ja schon
gewohnt. Aber der Amtmann hat gesagt, es sei nicht zu machen,
und hat mir eine Verordnung vorgelesen, worin es heißt, die Beam¬
ten sollen besser auf das herrschaftliche Interesse sehen und wo möglich
die Delinquenten künftig an den Beutel hängen, statt sie ihre Strafen in
öffentlichen Arbeiten abverdienen zu lassen; ja wenn auch nur die
Terz, Quart oder die Hälfte der Strafe in Geld bezahlt werden könne,
so müsse das geschehen und könne dann der Rest, wenn es absolut
nicht anders herauszuschlagen sei, in eine Arbeitsstrafe verwandelt

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 13

iſt Euer Sohn nicht fähig. Zur Zeit Eurer Jugend mag's vielleicht
Mode geweſen ſein, ein arms Mädle mit ſammt ihrem Kind ins Elend
zu ſtürzen und ſich von ihr rein zu ſchwören. Jetziger Zeit aber
hält man ſo etwas für eine Schlechtigkeit, ich wenigſtens halt's dafür,
und ein rechtſchaffener Vater ſollt's auch dafür halten und ſollt' ſeinem
Sohn nicht zureden, daß er's thue, ſondern wenn er damit umgeht, das
Mädle zu verrathen, das ihn lieb hat und auf ihn vertraut, und das un¬
ſchuldig' Würmle — ſein eigen Fleiſch und Blut, Vater! — zu
verleugnen, ſo ſollt' er ihm väterlich ins Gewiſſen reden und ihm
vorſtellen, daß ein Menſch, der das thut, ſein Lebenlang, und ob's
ihm noch ſo gut ging', keine ruhige Stund' mehr haben kann.

Der Sonnenwirth tobte und ergoß ſich in Verwünſchungen über
die Zuchtloſigkeit und dazwiſchen in Klagen über die unehrerbietige
Aufführung ſeines Sohnes. Die Sonnenwirthin, welche zugegen war,
freute ſich innig über dieſe Stichelreden und ſchürte den Zank, ſo daß
es beinahe zu Thätlichkeiten kam. Der Sonnenwirth brach jedoch
endlich ab und ſagte: Ich will nicht länger mit dir ſtreiten, aber das
erklär' ich dir rundweg und hab's auch vor den Herren geſagt, mein'
Conſens geb' ich nun und nimmer dazu.

Dann ſteh' ich wenigſtens vor aller Welt gerechtfertigt da, wenn's
ein Unglück gibt, antwortete Friedrich.

Und was das Rabenkind Geld koſtet! wandte ſich der Sonnen¬
wirth zu ſeiner Frau. Denk' nur auch, der Amtmann thut's nicht
anders als daß die Straf' in Geld bezahlt werden ſoll. Fünfund¬
zwanzig Gulden fordert er für den Fehltritt. Ich hab' gebeten, man
ſoll's den Burſchen abverdienen laſſen, wie andere ſeines Gelichters
auch, die man in die herzoglichen Gärten nach Stuttgart und Lud¬
wigsburg zum Arbeiten ſchickt; Schimpf und Spott iſt er ja ſchon
gewohnt. Aber der Amtmann hat geſagt, es ſei nicht zu machen,
und hat mir eine Verordnung vorgeleſen, worin es heißt, die Beam¬
ten ſollen beſſer auf das herrſchaftliche Intereſſe ſehen und wo möglich
die Delinquenten künftig an den Beutel hängen, ſtatt ſie ihre Strafen in
öffentlichen Arbeiten abverdienen zu laſſen; ja wenn auch nur die
Terz, Quart oder die Hälfte der Strafe in Geld bezahlt werden könne,
ſo müſſe das geſchehen und könne dann der Reſt, wenn es abſolut
nicht anders herauszuſchlagen ſei, in eine Arbeitsſtrafe verwandelt

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 13
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[193/0209] iſt Euer Sohn nicht fähig. Zur Zeit Eurer Jugend mag's vielleicht Mode geweſen ſein, ein arms Mädle mit ſammt ihrem Kind ins Elend zu ſtürzen und ſich von ihr rein zu ſchwören. Jetziger Zeit aber hält man ſo etwas für eine Schlechtigkeit, ich wenigſtens halt's dafür, und ein rechtſchaffener Vater ſollt's auch dafür halten und ſollt' ſeinem Sohn nicht zureden, daß er's thue, ſondern wenn er damit umgeht, das Mädle zu verrathen, das ihn lieb hat und auf ihn vertraut, und das un¬ ſchuldig' Würmle — ſein eigen Fleiſch und Blut, Vater! — zu verleugnen, ſo ſollt' er ihm väterlich ins Gewiſſen reden und ihm vorſtellen, daß ein Menſch, der das thut, ſein Lebenlang, und ob's ihm noch ſo gut ging', keine ruhige Stund' mehr haben kann. Der Sonnenwirth tobte und ergoß ſich in Verwünſchungen über die Zuchtloſigkeit und dazwiſchen in Klagen über die unehrerbietige Aufführung ſeines Sohnes. Die Sonnenwirthin, welche zugegen war, freute ſich innig über dieſe Stichelreden und ſchürte den Zank, ſo daß es beinahe zu Thätlichkeiten kam. Der Sonnenwirth brach jedoch endlich ab und ſagte: Ich will nicht länger mit dir ſtreiten, aber das erklär' ich dir rundweg und hab's auch vor den Herren geſagt, mein' Conſens geb' ich nun und nimmer dazu. Dann ſteh' ich wenigſtens vor aller Welt gerechtfertigt da, wenn's ein Unglück gibt, antwortete Friedrich. Und was das Rabenkind Geld koſtet! wandte ſich der Sonnen¬ wirth zu ſeiner Frau. Denk' nur auch, der Amtmann thut's nicht anders als daß die Straf' in Geld bezahlt werden ſoll. Fünfund¬ zwanzig Gulden fordert er für den Fehltritt. Ich hab' gebeten, man ſoll's den Burſchen abverdienen laſſen, wie andere ſeines Gelichters auch, die man in die herzoglichen Gärten nach Stuttgart und Lud¬ wigsburg zum Arbeiten ſchickt; Schimpf und Spott iſt er ja ſchon gewohnt. Aber der Amtmann hat geſagt, es ſei nicht zu machen, und hat mir eine Verordnung vorgeleſen, worin es heißt, die Beam¬ ten ſollen beſſer auf das herrſchaftliche Intereſſe ſehen und wo möglich die Delinquenten künftig an den Beutel hängen, ſtatt ſie ihre Strafen in öffentlichen Arbeiten abverdienen zu laſſen; ja wenn auch nur die Terz, Quart oder die Hälfte der Strafe in Geld bezahlt werden könne, ſo müſſe das geſchehen und könne dann der Reſt, wenn es abſolut nicht anders herauszuſchlagen ſei, in eine Arbeitsſtrafe verwandelt D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 13

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/209>, abgerufen am 28.03.2024.