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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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20.

Wenige Tage nach diesem Vorgang traf Friedrich, der sich nun
an kein Verbot mehr gebunden fühlte, die Familie Christinens in
großer Bestürzung an. Christine und ihre Mutter weinten laut als
er eintrat, und der Alte, der sein häusliches Mißgeschick mit leidlichem
Gleichmuth ertragen hatte, schien heute ganz zerschmettert zu sein.
Auf Friedrich's Befragen erzählte er, er sei vom Pfarrer und auch
vom Amtmann vorgefordert worden. Der Pfarrer habe ihm eine recht
bibelmäßige Predigt gehalten wegen der Sünde, daß er die standeswid¬
rige Liebschaft seiner Tochter geduldet, und ihn vermahnt, nunmehr
in christlicher Demuth das Unglück derselben als eine Strafe Gottes
für seinen Hochmuth hinzunehmen, auch ihm eröffnet, daß, wenn er
nicht seine Einwilligung zu ihrer Heirath mit dem Sonnenwirthssohne
entschieden versage, er in allen künftigen Fällen von Noth oder Krank¬
heit auf eine Unterstützung aus dem Heiligen nicht mehr rechnen dürfe.

Das kommt von meiner Frau Stiefmutter her, die hat sich hin¬
ter den Pfarrer gesteckt, sagte Friedrich bitter. Aber wartet nur,
Vetter, es kommt gewiß noch eine Gelegenheit, wo ich's dem Höllen¬
pfaffen eintränken kann, daß er einem Vater zumuthen will, er solle
dazu mithelfen, seine eigene Tochter um ihre Ehre zu bestehlen.

So lang 's am Sonnenwirth fehlt, versetzte der Hirschbauer, ist's
eigentlich gleichgiltig, ob ich meine Einwilligung geb' oder nicht, und
das hab' ich auch dem Pfarrer gesagt. Aber es hat mir schier das
Herz aus einander gerissen, daß man arme Leut' so unterdrückt. Ich
soll aus Hochmuth Ihm die Thür' zu meiner Tochter offen gelassen
haben, ich soll auf unrechten Wegen eine vornehme Verwandtschaft
gesucht haben, während ich von Anfang an gegen die Sach' gewesen
bin! Ich will Ihm jetzt keinen Vorwurf mehr machen, seit Er sich
gestern vor'm Kirchenconvent so wacker gehalten hat und hat Gott und
der Wahrheit die Ehr' geben, was nicht ein Jeder thut; aber das
kann ich Ihm sagen, Er ist ein Nagel zu meinem Sarg, und wenn
das Ding sich nicht bald anders wendet, so wird man sehen, wie tief

20.

Wenige Tage nach dieſem Vorgang traf Friedrich, der ſich nun
an kein Verbot mehr gebunden fühlte, die Familie Chriſtinens in
großer Beſtürzung an. Chriſtine und ihre Mutter weinten laut als
er eintrat, und der Alte, der ſein häusliches Mißgeſchick mit leidlichem
Gleichmuth ertragen hatte, ſchien heute ganz zerſchmettert zu ſein.
Auf Friedrich's Befragen erzählte er, er ſei vom Pfarrer und auch
vom Amtmann vorgefordert worden. Der Pfarrer habe ihm eine recht
bibelmäßige Predigt gehalten wegen der Sünde, daß er die ſtandeswid¬
rige Liebſchaft ſeiner Tochter geduldet, und ihn vermahnt, nunmehr
in chriſtlicher Demuth das Unglück derſelben als eine Strafe Gottes
für ſeinen Hochmuth hinzunehmen, auch ihm eröffnet, daß, wenn er
nicht ſeine Einwilligung zu ihrer Heirath mit dem Sonnenwirthsſohne
entſchieden verſage, er in allen künftigen Fällen von Noth oder Krank¬
heit auf eine Unterſtützung aus dem Heiligen nicht mehr rechnen dürfe.

Das kommt von meiner Frau Stiefmutter her, die hat ſich hin¬
ter den Pfarrer geſteckt, ſagte Friedrich bitter. Aber wartet nur,
Vetter, es kommt gewiß noch eine Gelegenheit, wo ich's dem Höllen¬
pfaffen eintränken kann, daß er einem Vater zumuthen will, er ſolle
dazu mithelfen, ſeine eigene Tochter um ihre Ehre zu beſtehlen.

So lang 's am Sonnenwirth fehlt, verſetzte der Hirſchbauer, iſt's
eigentlich gleichgiltig, ob ich meine Einwilligung geb' oder nicht, und
das hab' ich auch dem Pfarrer geſagt. Aber es hat mir ſchier das
Herz aus einander geriſſen, daß man arme Leut' ſo unterdrückt. Ich
ſoll aus Hochmuth Ihm die Thür' zu meiner Tochter offen gelaſſen
haben, ich ſoll auf unrechten Wegen eine vornehme Verwandtſchaft
geſucht haben, während ich von Anfang an gegen die Sach' geweſen
bin! Ich will Ihm jetzt keinen Vorwurf mehr machen, ſeit Er ſich
geſtern vor'm Kirchenconvent ſo wacker gehalten hat und hat Gott und
der Wahrheit die Ehr' geben, was nicht ein Jeder thut; aber das
kann ich Ihm ſagen, Er iſt ein Nagel zu meinem Sarg, und wenn
das Ding ſich nicht bald anders wendet, ſo wird man ſehen, wie tief

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[196/0212] 20. Wenige Tage nach dieſem Vorgang traf Friedrich, der ſich nun an kein Verbot mehr gebunden fühlte, die Familie Chriſtinens in großer Beſtürzung an. Chriſtine und ihre Mutter weinten laut als er eintrat, und der Alte, der ſein häusliches Mißgeſchick mit leidlichem Gleichmuth ertragen hatte, ſchien heute ganz zerſchmettert zu ſein. Auf Friedrich's Befragen erzählte er, er ſei vom Pfarrer und auch vom Amtmann vorgefordert worden. Der Pfarrer habe ihm eine recht bibelmäßige Predigt gehalten wegen der Sünde, daß er die ſtandeswid¬ rige Liebſchaft ſeiner Tochter geduldet, und ihn vermahnt, nunmehr in chriſtlicher Demuth das Unglück derſelben als eine Strafe Gottes für ſeinen Hochmuth hinzunehmen, auch ihm eröffnet, daß, wenn er nicht ſeine Einwilligung zu ihrer Heirath mit dem Sonnenwirthsſohne entſchieden verſage, er in allen künftigen Fällen von Noth oder Krank¬ heit auf eine Unterſtützung aus dem Heiligen nicht mehr rechnen dürfe. Das kommt von meiner Frau Stiefmutter her, die hat ſich hin¬ ter den Pfarrer geſteckt, ſagte Friedrich bitter. Aber wartet nur, Vetter, es kommt gewiß noch eine Gelegenheit, wo ich's dem Höllen¬ pfaffen eintränken kann, daß er einem Vater zumuthen will, er ſolle dazu mithelfen, ſeine eigene Tochter um ihre Ehre zu beſtehlen. So lang 's am Sonnenwirth fehlt, verſetzte der Hirſchbauer, iſt's eigentlich gleichgiltig, ob ich meine Einwilligung geb' oder nicht, und das hab' ich auch dem Pfarrer geſagt. Aber es hat mir ſchier das Herz aus einander geriſſen, daß man arme Leut' ſo unterdrückt. Ich ſoll aus Hochmuth Ihm die Thür' zu meiner Tochter offen gelaſſen haben, ich ſoll auf unrechten Wegen eine vornehme Verwandtſchaft geſucht haben, während ich von Anfang an gegen die Sach' geweſen bin! Ich will Ihm jetzt keinen Vorwurf mehr machen, ſeit Er ſich geſtern vor'm Kirchenconvent ſo wacker gehalten hat und hat Gott und der Wahrheit die Ehr' geben, was nicht ein Jeder thut; aber das kann ich Ihm ſagen, Er iſt ein Nagel zu meinem Sarg, und wenn das Ding ſich nicht bald anders wendet, ſo wird man ſehen, wie tief

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/212>, abgerufen am 18.04.2024.