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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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nöthig sein, sagte der Fischer und Alle lachten zusammen. Während
ein Theil der Wachmannschaft den Gefangenen so eilig fortschleppte,
daß er nur noch mit den Augen seinem Knaben ein Lebewohl zuwinken
konnte, stöberte ein anderer, den Fischer an der Spitze, in der Stube
herum. Die Alte, als sie dies bemerkte, überließ den Fortgehenden
die Sorge, wie sie sich ohne Licht zurechtfinden wollten, und eilte in
die Stube zurück, konnte es aber nicht verhindern, daß die Hasen, als
offenbares Herrschaftseigenthum, in Beschlag genommen wurden.

Der Knabe war außer sich, und die Nachbarn, welche halb theil¬
nehmend, halb neugierig hinter den Häschern in die Stube gedrungen
waren, versuchten ihn umsonst zu trösten. Nachdem die Alte sich über
den Verlust ihres soeben zum Geschenk erhaltenen Wildprets einigermaßen
beruhigt hatte, schwatzte sie ihm vor, sein Vater werde nur ein wenig
zur Mutter nach Göppingen gebracht und werde bald wieder kommen.
Er ließ sich nach und nach beschwichtigen; über Eines aber konnte er
sich nicht zufrieden geben: mein Vater, sagte er, hat sonst nie geheult,
und jetzt haben sie ihn grad' geholt, wo er geheult hat.

In diesem Augenblicke kam der Schütz, zu spät, um an der Ge¬
fangennehmung, zu welcher er beordert war, theilzunehmen, aber früh
genug, um der Alten eine Nachricht zu bringen, die sie ganz darnieder
schmetterte. Wisset Ihr auch, Hirschbäurin, sagte er, daß Euer zweiter
Sohn in Stuttgart hat Soldat werden müssen? Er hat einem Sol¬
daten zur Desertion geholfen, und der Oberst Rieger, der dem Herzog
sein Kriegsvolk zusammenwirbt, hat darauf gemeint, er sei ihm als
Stellvertreter eben so gut oder noch lieber.

Sie warf sich zu Boden und raufte ihre Haare. Diesmal war
ihr Schreien und Heulen ernstlich gemeint. Jetzt hab' ich mein'
und Stab verloren! jammerte sie.


nöthig ſein, ſagte der Fiſcher und Alle lachten zuſammen. Während
ein Theil der Wachmannſchaft den Gefangenen ſo eilig fortſchleppte,
daß er nur noch mit den Augen ſeinem Knaben ein Lebewohl zuwinken
konnte, ſtöberte ein anderer, den Fiſcher an der Spitze, in der Stube
herum. Die Alte, als ſie dies bemerkte, überließ den Fortgehenden
die Sorge, wie ſie ſich ohne Licht zurechtfinden wollten, und eilte in
die Stube zurück, konnte es aber nicht verhindern, daß die Haſen, als
offenbares Herrſchaftseigenthum, in Beſchlag genommen wurden.

Der Knabe war außer ſich, und die Nachbarn, welche halb theil¬
nehmend, halb neugierig hinter den Häſchern in die Stube gedrungen
waren, verſuchten ihn umſonſt zu tröſten. Nachdem die Alte ſich über
den Verluſt ihres ſoeben zum Geſchenk erhaltenen Wildprets einigermaßen
beruhigt hatte, ſchwatzte ſie ihm vor, ſein Vater werde nur ein wenig
zur Mutter nach Göppingen gebracht und werde bald wieder kommen.
Er ließ ſich nach und nach beſchwichtigen; über Eines aber konnte er
ſich nicht zufrieden geben: mein Vater, ſagte er, hat ſonſt nie geheult,
und jetzt haben ſie ihn grad' geholt, wo er geheult hat.

In dieſem Augenblicke kam der Schütz, zu ſpät, um an der Ge¬
fangennehmung, zu welcher er beordert war, theilzunehmen, aber früh
genug, um der Alten eine Nachricht zu bringen, die ſie ganz darnieder
ſchmetterte. Wiſſet Ihr auch, Hirſchbäurin, ſagte er, daß Euer zweiter
Sohn in Stuttgart hat Soldat werden müſſen? Er hat einem Sol¬
daten zur Deſertion geholfen, und der Oberſt Rieger, der dem Herzog
ſein Kriegsvolk zuſammenwirbt, hat darauf gemeint, er ſei ihm als
Stellvertreter eben ſo gut oder noch lieber.

Sie warf ſich zu Boden und raufte ihre Haare. Diesmal war
ihr Schreien und Heulen ernſtlich gemeint. Jetzt hab' ich mein'
und Stab verloren! jammerte ſie.


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[341/0357] nöthig ſein, ſagte der Fiſcher und Alle lachten zuſammen. Während ein Theil der Wachmannſchaft den Gefangenen ſo eilig fortſchleppte, daß er nur noch mit den Augen ſeinem Knaben ein Lebewohl zuwinken konnte, ſtöberte ein anderer, den Fiſcher an der Spitze, in der Stube herum. Die Alte, als ſie dies bemerkte, überließ den Fortgehenden die Sorge, wie ſie ſich ohne Licht zurechtfinden wollten, und eilte in die Stube zurück, konnte es aber nicht verhindern, daß die Haſen, als offenbares Herrſchaftseigenthum, in Beſchlag genommen wurden. Der Knabe war außer ſich, und die Nachbarn, welche halb theil¬ nehmend, halb neugierig hinter den Häſchern in die Stube gedrungen waren, verſuchten ihn umſonſt zu tröſten. Nachdem die Alte ſich über den Verluſt ihres ſoeben zum Geſchenk erhaltenen Wildprets einigermaßen beruhigt hatte, ſchwatzte ſie ihm vor, ſein Vater werde nur ein wenig zur Mutter nach Göppingen gebracht und werde bald wieder kommen. Er ließ ſich nach und nach beſchwichtigen; über Eines aber konnte er ſich nicht zufrieden geben: mein Vater, ſagte er, hat ſonſt nie geheult, und jetzt haben ſie ihn grad' geholt, wo er geheult hat. In dieſem Augenblicke kam der Schütz, zu ſpät, um an der Ge¬ fangennehmung, zu welcher er beordert war, theilzunehmen, aber früh genug, um der Alten eine Nachricht zu bringen, die ſie ganz darnieder ſchmetterte. Wiſſet Ihr auch, Hirſchbäurin, ſagte er, daß Euer zweiter Sohn in Stuttgart hat Soldat werden müſſen? Er hat einem Sol¬ daten zur Deſertion geholfen, und der Oberſt Rieger, der dem Herzog ſein Kriegsvolk zuſammenwirbt, hat darauf gemeint, er ſei ihm als Stellvertreter eben ſo gut oder noch lieber. Sie warf ſich zu Boden und raufte ihre Haare. Diesmal war ihr Schreien und Heulen ernſtlich gemeint. Jetzt hab' ich mein' und Stab verloren! jammerte ſie.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/357>, abgerufen am 19.04.2024.