Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Augenblicken sank die beleuchtete Stelle in Eine graue Masse mit dem
übrigen Gebirge zurück, während der wunderbare Strahl immer weiter
wanderte, bis er endlich im letzten Osten der Bergkette erlosch. Nun
aber spiegelte sich hinter dem Staufen und Rechberg das Dunstbild der
unsichtbaren Leuchte, von welcher der Zauberschein herkam, so daß
dort in einem dichten Purpurrauche eine zweite Sonne auf- oder unter¬
zugehen schien.

Er wußte nicht ob er wachte oder träumte; die Welt war ihm
neu und er glaubte sie, obgleich kaum eine Stunde von seinem Ge¬
burtsorte entfernt, zum erstenmal zu sehen. Er heftete den Blick
wieder auf seine Genossin, durch deren Augen er dieses Liebesspiel der
Sonne mit einem Fleck der Erde, den er seine Heimath nannte, er¬
schaut hatte, und siehe, auch sie hatte der Lichtstrahl in seinen blendenden
Bereich gezogen. Er hing bewundernd an ihrem Anblick, da kehrte
sie ihm das braune, in röthlichem Schimmer strahlende Antlitz zu und
rief: Du bist ja ganz von Glanz umflossen!

Auch ich? fragte er verwundert.

Wir sind bei der Frau Sonne zu Gaste, sagte sie, wir Kinder
des Waldes haben darin viel vor den andern Menschen voraus. Aber
komm, es muß nun einmal sein.

Sie gingen dem gegenüberliegenden Walde zu und verfolgten einen
durch denselben gehenden Weg, bis sie in der Nähe des Hofes angelangt
waren, wo er die blonde Christine untergebracht hatte.

Hier scheiden sich unsere Wege, sagte die schwarze Christine. Und
nun hör' noch Eins. Ich weiß, daß du mich lieb hast und dein Herz
schwer von mir losreißen wirst; deßhalb will ich dich nicht an mich
locken, wie ich wohl könnte. Aber dein Herz wird dir selbst sagen,
wie es um uns steht. In ihr hast du nur dich selbst geliebt, deinen
eigenen Willen, in ihr hast du nur dir selbst Wort gehalten. In
mir liebst du etwas Anderes.

Ja, den Teufel! murmelte er. Und doch bist du mir so eben wie
ein Engel des Lichts erschienen.

Nenn's wie du willst. Wenn du sie zu uns mitbringst, so wirst
du bald sehen, daß du auf mich vor Allen bauen kannst. Folgt sie
dir nicht in das neue Leben, dessen Thüre du, wie dir selbst bewußt
sein wird, unwiderruflich aufgestoßen hast, folgt sie dir nicht, wie das

Augenblicken ſank die beleuchtete Stelle in Eine graue Maſſe mit dem
übrigen Gebirge zurück, während der wunderbare Strahl immer weiter
wanderte, bis er endlich im letzten Oſten der Bergkette erloſch. Nun
aber ſpiegelte ſich hinter dem Staufen und Rechberg das Dunſtbild der
unſichtbaren Leuchte, von welcher der Zauberſchein herkam, ſo daß
dort in einem dichten Purpurrauche eine zweite Sonne auf- oder unter¬
zugehen ſchien.

Er wußte nicht ob er wachte oder träumte; die Welt war ihm
neu und er glaubte ſie, obgleich kaum eine Stunde von ſeinem Ge¬
burtsorte entfernt, zum erſtenmal zu ſehen. Er heftete den Blick
wieder auf ſeine Genoſſin, durch deren Augen er dieſes Liebesſpiel der
Sonne mit einem Fleck der Erde, den er ſeine Heimath nannte, er¬
ſchaut hatte, und ſiehe, auch ſie hatte der Lichtſtrahl in ſeinen blendenden
Bereich gezogen. Er hing bewundernd an ihrem Anblick, da kehrte
ſie ihm das braune, in röthlichem Schimmer ſtrahlende Antlitz zu und
rief: Du biſt ja ganz von Glanz umfloſſen!

Auch ich? fragte er verwundert.

Wir ſind bei der Frau Sonne zu Gaſte, ſagte ſie, wir Kinder
des Waldes haben darin viel vor den andern Menſchen voraus. Aber
komm, es muß nun einmal ſein.

Sie gingen dem gegenüberliegenden Walde zu und verfolgten einen
durch denſelben gehenden Weg, bis ſie in der Nähe des Hofes angelangt
waren, wo er die blonde Chriſtine untergebracht hatte.

Hier ſcheiden ſich unſere Wege, ſagte die ſchwarze Chriſtine. Und
nun hör' noch Eins. Ich weiß, daß du mich lieb haſt und dein Herz
ſchwer von mir losreißen wirſt; deßhalb will ich dich nicht an mich
locken, wie ich wohl könnte. Aber dein Herz wird dir ſelbſt ſagen,
wie es um uns ſteht. In ihr haſt du nur dich ſelbſt geliebt, deinen
eigenen Willen, in ihr haſt du nur dir ſelbſt Wort gehalten. In
mir liebſt du etwas Anderes.

Ja, den Teufel! murmelte er. Und doch biſt du mir ſo eben wie
ein Engel des Lichts erſchienen.

Nenn's wie du willſt. Wenn du ſie zu uns mitbringſt, ſo wirſt
du bald ſehen, daß du auf mich vor Allen bauen kannſt. Folgt ſie
dir nicht in das neue Leben, deſſen Thüre du, wie dir ſelbſt bewußt
ſein wird, unwiderruflich aufgeſtoßen haſt, folgt ſie dir nicht, wie das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0434" n="418"/>
Augenblicken &#x017F;ank die beleuchtete Stelle in Eine graue Ma&#x017F;&#x017F;e mit dem<lb/>
übrigen Gebirge zurück, während der wunderbare Strahl immer weiter<lb/>
wanderte, bis er endlich im letzten O&#x017F;ten der Bergkette erlo&#x017F;ch. Nun<lb/>
aber &#x017F;piegelte &#x017F;ich hinter dem Staufen und Rechberg das Dun&#x017F;tbild der<lb/>
un&#x017F;ichtbaren Leuchte, von welcher der Zauber&#x017F;chein herkam, &#x017F;o daß<lb/>
dort in einem dichten Purpurrauche eine zweite Sonne auf- oder unter¬<lb/>
zugehen &#x017F;chien.</p><lb/>
        <p>Er wußte nicht ob er wachte oder träumte; die Welt war ihm<lb/>
neu und er glaubte &#x017F;ie, obgleich kaum eine Stunde von &#x017F;einem Ge¬<lb/>
burtsorte entfernt, zum er&#x017F;tenmal zu &#x017F;ehen. Er heftete den Blick<lb/>
wieder auf &#x017F;eine Geno&#x017F;&#x017F;in, durch deren Augen er die&#x017F;es Liebes&#x017F;piel der<lb/>
Sonne mit einem Fleck der Erde, den er &#x017F;eine Heimath nannte, er¬<lb/>
&#x017F;chaut hatte, und &#x017F;iehe, auch &#x017F;ie hatte der Licht&#x017F;trahl in &#x017F;einen blendenden<lb/>
Bereich gezogen. Er hing bewundernd an ihrem Anblick, da kehrte<lb/>
&#x017F;ie ihm das braune, in röthlichem Schimmer &#x017F;trahlende Antlitz zu und<lb/>
rief: Du bi&#x017F;t ja ganz von Glanz umflo&#x017F;&#x017F;en!</p><lb/>
        <p>Auch ich? fragte er verwundert.</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;ind bei der Frau Sonne zu Ga&#x017F;te, &#x017F;agte &#x017F;ie, wir Kinder<lb/>
des Waldes haben darin viel vor den andern Men&#x017F;chen voraus. Aber<lb/>
komm, es muß nun einmal &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Sie gingen dem gegenüberliegenden Walde zu und verfolgten einen<lb/>
durch den&#x017F;elben gehenden Weg, bis &#x017F;ie in der Nähe des Hofes angelangt<lb/>
waren, wo er die blonde Chri&#x017F;tine untergebracht hatte.</p><lb/>
        <p>Hier &#x017F;cheiden &#x017F;ich un&#x017F;ere Wege, &#x017F;agte die &#x017F;chwarze Chri&#x017F;tine. Und<lb/>
nun hör' noch Eins. Ich weiß, daß du mich lieb ha&#x017F;t und dein Herz<lb/>
&#x017F;chwer von mir losreißen wir&#x017F;t; deßhalb will ich dich nicht an mich<lb/>
locken, wie ich wohl könnte. Aber dein Herz wird dir &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen,<lb/>
wie es um uns &#x017F;teht. In <hi rendition="#g">ihr</hi> ha&#x017F;t du nur dich &#x017F;elb&#x017F;t geliebt, deinen<lb/>
eigenen Willen, in ihr ha&#x017F;t du nur dir &#x017F;elb&#x017F;t Wort gehalten. In<lb/><hi rendition="#g">mir</hi> lieb&#x017F;t du etwas Anderes.</p><lb/>
        <p>Ja, den Teufel! murmelte er. Und doch bi&#x017F;t du mir &#x017F;o eben wie<lb/>
ein Engel des Lichts er&#x017F;chienen.</p><lb/>
        <p>Nenn's wie du will&#x017F;t. Wenn du &#x017F;ie zu uns mitbring&#x017F;t, &#x017F;o wir&#x017F;t<lb/>
du bald &#x017F;ehen, daß du auf mich vor Allen bauen kann&#x017F;t. Folgt &#x017F;ie<lb/>
dir nicht in das neue Leben, de&#x017F;&#x017F;en Thüre du, wie dir &#x017F;elb&#x017F;t bewußt<lb/>
&#x017F;ein wird, unwiderruflich aufge&#x017F;toßen ha&#x017F;t, folgt &#x017F;ie dir nicht, wie das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[418/0434] Augenblicken ſank die beleuchtete Stelle in Eine graue Maſſe mit dem übrigen Gebirge zurück, während der wunderbare Strahl immer weiter wanderte, bis er endlich im letzten Oſten der Bergkette erloſch. Nun aber ſpiegelte ſich hinter dem Staufen und Rechberg das Dunſtbild der unſichtbaren Leuchte, von welcher der Zauberſchein herkam, ſo daß dort in einem dichten Purpurrauche eine zweite Sonne auf- oder unter¬ zugehen ſchien. Er wußte nicht ob er wachte oder träumte; die Welt war ihm neu und er glaubte ſie, obgleich kaum eine Stunde von ſeinem Ge¬ burtsorte entfernt, zum erſtenmal zu ſehen. Er heftete den Blick wieder auf ſeine Genoſſin, durch deren Augen er dieſes Liebesſpiel der Sonne mit einem Fleck der Erde, den er ſeine Heimath nannte, er¬ ſchaut hatte, und ſiehe, auch ſie hatte der Lichtſtrahl in ſeinen blendenden Bereich gezogen. Er hing bewundernd an ihrem Anblick, da kehrte ſie ihm das braune, in röthlichem Schimmer ſtrahlende Antlitz zu und rief: Du biſt ja ganz von Glanz umfloſſen! Auch ich? fragte er verwundert. Wir ſind bei der Frau Sonne zu Gaſte, ſagte ſie, wir Kinder des Waldes haben darin viel vor den andern Menſchen voraus. Aber komm, es muß nun einmal ſein. Sie gingen dem gegenüberliegenden Walde zu und verfolgten einen durch denſelben gehenden Weg, bis ſie in der Nähe des Hofes angelangt waren, wo er die blonde Chriſtine untergebracht hatte. Hier ſcheiden ſich unſere Wege, ſagte die ſchwarze Chriſtine. Und nun hör' noch Eins. Ich weiß, daß du mich lieb haſt und dein Herz ſchwer von mir losreißen wirſt; deßhalb will ich dich nicht an mich locken, wie ich wohl könnte. Aber dein Herz wird dir ſelbſt ſagen, wie es um uns ſteht. In ihr haſt du nur dich ſelbſt geliebt, deinen eigenen Willen, in ihr haſt du nur dir ſelbſt Wort gehalten. In mir liebſt du etwas Anderes. Ja, den Teufel! murmelte er. Und doch biſt du mir ſo eben wie ein Engel des Lichts erſchienen. Nenn's wie du willſt. Wenn du ſie zu uns mitbringſt, ſo wirſt du bald ſehen, daß du auf mich vor Allen bauen kannſt. Folgt ſie dir nicht in das neue Leben, deſſen Thüre du, wie dir ſelbſt bewußt ſein wird, unwiderruflich aufgeſtoßen haſt, folgt ſie dir nicht, wie das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/434
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/434>, abgerufen am 19.04.2024.