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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 17. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit.
seine eigenen religiösen Ueberzeugungen zu haben und zu bekennen,
von der Natur, nicht vom Recht. Um zu glauben, was man will,
bedarf man des Reiches nicht. Aufgehoben ist vielmehr nur der
Mißbrauch der Staatsgewalt, an die Ausübung dieser natür-
lichen Fähigkeit Strafen, Rechtsnachtheile und politische Be-
schränkungen zu knüpfen. Das Gesetz bezieht sich nur auf die
Einzelstaaten und stellt einen gemeinrechtlichen Grundsatz des öffent-
lichen Rechts auf, der seine praktische Anwendung innerhalb
der Einzelstaaten
findet; für das Reich selbst ist das Gesetz
ganz gegenstandslos.

Das Reich greift hier ausnahmsweise in das Verfassungsrecht
der Einzelstaaten ein, indem es der Einzelstaatsgewalt eine Schranke
setzt, die sie hindert, die Gewissensfreiheit anzutasten. Nicht das
Verfassungsrecht des Reichs wird durch dieses Gesetz berührt,
sondern es wird ein gemeinrechtlicher Grundsatz des Territorial-
Staatsrechts reichsgesetzlich sanctionirt. Es darf demgemäß kein
Staat ein bestimmtes Glaubensbekenntniß zur Voraussetzung für
die Ausübung des Wahlrechts und der anderen politischen Rechte
erklären. Im Uebrigen dagegen ist es jedem Staate unbenommen,
die Voraussetzungen der politischen Rechte nach eigener Willkühr
festzusetzen 1).

§. 17. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit.

Bei dem engen, untrennbaren Zusammenhange zwischen
Staatsangehörigkeit und Reichsangehörigkeit war es erforderlich,
die rechtlichen Voraussetzungen für den Erwerb und Verlust der
Staatsangehörigkeit reichsgesetzlich zu ordnen. Dies ist geschehen
durch das Reichsgesetz vom 1. Juli 1870 2). Es ist in
Geltung getreten am 1. Januar 1871. In Folge Gesetzes vom
21. Juli 1870 sind aber die §§. 17 und 20 sofort in Wirksam-
keit gesetzt worden. In Baden, Südhessen und Württemberg gilt

1) Eine ausdrückliche Anerkennung hat dieser Rechtssatz in dem Bayer.
Schlußprotokoll vom 23. Nov. 1870 Z. II. gefunden.
2) Das Gesetz enthielt einige besondere Bestimmungen hinsichlich der süd-
deutschen Staaten (§. 1 Abs. 2 §. 8 Abs. 3 §. 16), welche durch den Hinzu-
tritt derselben zum Reich ihre Anwendbarkeit verloren haben und formell auf-
gehoben worden sind durch das R.-G. vom 22. April 1871 §. 9. (R.-G.-B.
S. 89.)

§. 17. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit.
ſeine eigenen religiöſen Ueberzeugungen zu haben und zu bekennen,
von der Natur, nicht vom Recht. Um zu glauben, was man will,
bedarf man des Reiches nicht. Aufgehoben iſt vielmehr nur der
Mißbrauch der Staatsgewalt, an die Ausübung dieſer natür-
lichen Fähigkeit Strafen, Rechtsnachtheile und politiſche Be-
ſchränkungen zu knüpfen. Das Geſetz bezieht ſich nur auf die
Einzelſtaaten und ſtellt einen gemeinrechtlichen Grundſatz des öffent-
lichen Rechts auf, der ſeine praktiſche Anwendung innerhalb
der Einzelſtaaten
findet; für das Reich ſelbſt iſt das Geſetz
ganz gegenſtandslos.

Das Reich greift hier ausnahmsweiſe in das Verfaſſungsrecht
der Einzelſtaaten ein, indem es der Einzelſtaatsgewalt eine Schranke
ſetzt, die ſie hindert, die Gewiſſensfreiheit anzutaſten. Nicht das
Verfaſſungsrecht des Reichs wird durch dieſes Geſetz berührt,
ſondern es wird ein gemeinrechtlicher Grundſatz des Territorial-
Staatsrechts reichsgeſetzlich ſanctionirt. Es darf demgemäß kein
Staat ein beſtimmtes Glaubensbekenntniß zur Vorausſetzung für
die Ausübung des Wahlrechts und der anderen politiſchen Rechte
erklären. Im Uebrigen dagegen iſt es jedem Staate unbenommen,
die Vorausſetzungen der politiſchen Rechte nach eigener Willkühr
feſtzuſetzen 1).

§. 17. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit.

Bei dem engen, untrennbaren Zuſammenhange zwiſchen
Staatsangehörigkeit und Reichsangehörigkeit war es erforderlich,
die rechtlichen Vorausſetzungen für den Erwerb und Verluſt der
Staatsangehörigkeit reichsgeſetzlich zu ordnen. Dies iſt geſchehen
durch das Reichsgeſetz vom 1. Juli 1870 2). Es iſt in
Geltung getreten am 1. Januar 1871. In Folge Geſetzes vom
21. Juli 1870 ſind aber die §§. 17 und 20 ſofort in Wirkſam-
keit geſetzt worden. In Baden, Südheſſen und Württemberg gilt

1) Eine ausdrückliche Anerkennung hat dieſer Rechtsſatz in dem Bayer.
Schlußprotokoll vom 23. Nov. 1870 Z. II. gefunden.
2) Das Geſetz enthielt einige beſondere Beſtimmungen hinſichlich der ſüd-
deutſchen Staaten (§. 1 Abſ. 2 §. 8 Abſ. 3 §. 16), welche durch den Hinzu-
tritt derſelben zum Reich ihre Anwendbarkeit verloren haben und formell auf-
gehoben worden ſind durch das R.-G. vom 22. April 1871 §. 9. (R.-G.-B.
S. 89.)
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[162/0182] §. 17. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. ſeine eigenen religiöſen Ueberzeugungen zu haben und zu bekennen, von der Natur, nicht vom Recht. Um zu glauben, was man will, bedarf man des Reiches nicht. Aufgehoben iſt vielmehr nur der Mißbrauch der Staatsgewalt, an die Ausübung dieſer natür- lichen Fähigkeit Strafen, Rechtsnachtheile und politiſche Be- ſchränkungen zu knüpfen. Das Geſetz bezieht ſich nur auf die Einzelſtaaten und ſtellt einen gemeinrechtlichen Grundſatz des öffent- lichen Rechts auf, der ſeine praktiſche Anwendung innerhalb der Einzelſtaaten findet; für das Reich ſelbſt iſt das Geſetz ganz gegenſtandslos. Das Reich greift hier ausnahmsweiſe in das Verfaſſungsrecht der Einzelſtaaten ein, indem es der Einzelſtaatsgewalt eine Schranke ſetzt, die ſie hindert, die Gewiſſensfreiheit anzutaſten. Nicht das Verfaſſungsrecht des Reichs wird durch dieſes Geſetz berührt, ſondern es wird ein gemeinrechtlicher Grundſatz des Territorial- Staatsrechts reichsgeſetzlich ſanctionirt. Es darf demgemäß kein Staat ein beſtimmtes Glaubensbekenntniß zur Vorausſetzung für die Ausübung des Wahlrechts und der anderen politiſchen Rechte erklären. Im Uebrigen dagegen iſt es jedem Staate unbenommen, die Vorausſetzungen der politiſchen Rechte nach eigener Willkühr feſtzuſetzen 1). §. 17. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. Bei dem engen, untrennbaren Zuſammenhange zwiſchen Staatsangehörigkeit und Reichsangehörigkeit war es erforderlich, die rechtlichen Vorausſetzungen für den Erwerb und Verluſt der Staatsangehörigkeit reichsgeſetzlich zu ordnen. Dies iſt geſchehen durch das Reichsgeſetz vom 1. Juli 1870 2). Es iſt in Geltung getreten am 1. Januar 1871. In Folge Geſetzes vom 21. Juli 1870 ſind aber die §§. 17 und 20 ſofort in Wirkſam- keit geſetzt worden. In Baden, Südheſſen und Württemberg gilt 1) Eine ausdrückliche Anerkennung hat dieſer Rechtsſatz in dem Bayer. Schlußprotokoll vom 23. Nov. 1870 Z. II. gefunden. 2) Das Geſetz enthielt einige beſondere Beſtimmungen hinſichlich der ſüd- deutſchen Staaten (§. 1 Abſ. 2 §. 8 Abſ. 3 §. 16), welche durch den Hinzu- tritt derſelben zum Reich ihre Anwendbarkeit verloren haben und formell auf- gehoben worden ſind durch das R.-G. vom 22. April 1871 §. 9. (R.-G.-B. S. 89.)

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/182>, abgerufen am 28.03.2024.